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Bläserserenade Gran Partita / Symphonie Nr. 5
Info
Musikrichtung:
Wiener Klassik
VÖ: 03.09.2021 (Prospero / Note 1 / 2011, live / Best. Nr. PROSP 0020) Gesamtspielzeit: 100:00 Internet: Philharmonia Zürich |
ABSCHIEDSGESCHENK
Der Stadt Zürich und ihrem Opernorchester (heute: Philharmonia Zürich), mit dem er in den 70er-Jahren durch seinen Monteverdi-Zyklus einen wesentlichen Grundstein für seine Weltkarriere legte, blieb Nikolaus Harnoncourt eine Leben lang verbunden. Erst fünf Jahre vor seinem Tod zog er sich aus den dortigen Gastdirigaten zurück und verabschiedete sich mit einem ganz besonderen, ganz persönlichen Konzert. 10 Jahre später kann dieses musikalische Ereignis vom November 2011 nun endlich auch von Fans in der ganzen Welt nacherlebt werden dank dieser in Aufmachung und Klang audiophilen Ausgabe beim Label Propero.
Das Konzertprogramm entsprach ganz Harnoncourts eigenem Wunsch: Er kombinierte mit Mozarts Bläserserenade "Gran Partita" und Beethovens 5. Symphonie zwei grundverschiedene Stücke. Bei der Serenade, in langen häuslichen Proben mit den Musikern in Harnoncourts Privathaus einstudiert, erweist er sich einmal mehr als echter Geistesverwandter des Genies aus Salzburg, denn wie Mozart selbst denkt und empfindet auch Harnoncourt die Musik als von der Oper her gedacht. Hier ist alles dialogisch, trialogisch, alles Ensemble und Kommentar zugleich, die einzelnen Bläserstimmen mutieren gleichermaßen zu den Personen eines Stücks, das neben sommerlicher Leichtigkeit auch Tief- und Abgründe kennt. Da bleibt keine noch so kleine Phrase unausgeleuchtet. Es ist Klangrede pur und doch jederzeit zugleich klangsinnlich. Die Essenz einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit Mozarts Musik.
Und Beethovens Fünfte? Bei ihr musizieren Harnoncourt und seine Züricher sich bei aufgelichtetem Gesamtklang und in den Einwürfen teils schneidendem Ton der Blechbläser und Violinen nachgerade in einen echten Rausch hinein. Auch hier spricht alles, aber zeigt sich dabei stets existenziell, kompromisslos hochdramatisch, bisweilen schroff auffahrend und mit überraschenden klangfarblichen Effekten, Hervorhebungen, dynamischen Abstufungen und Rückungen versehen. Das ist in seiner Stringenz und Detailversessenheit höchst überzeugend, ja mitreißend. Vielleicht auch auf Basis der gedanklichen, eigensinnigen Durchdringung, denn Harnoncourt verstand das Werk keineswegs als die Vertonung eines persönlichen Ringens mit dem Schicksal, sondern als politisch programmatisch, als eine Erzählung von der Unterdrückung (Allegro con brio), vom Leiden und Hoffen (Andante), vom Aufbegehren (Scherzo) und der Befreiung (Finalsatz). Egal, ob man diese Deutung, mit der die Fünfte ind die Nähe der "Eroice" gerückt wird, teilen möchte - es lässt sich nicht leugnen, dass damit eine erfrischend neue, sehr persönliche und von allem Staub befreite Sichtweise mit ebensolchen musiaklischen Ergebnissen gewonnen wurde, die über viele Jahrzehnte ihre Gültigkeit behalten wird. Und spätestens bei Scherzo und dem furios triumphalen Allegro hebt es einen dann doch wie dereinst das Züricher Publikum aus dem heimischen Sessel. Das ist nicht mehr Musikgenuss, das ist Musikerleben pur!
Sven Kerkhoff
Trackliste
+Beethoven: Symphonie Nr. 5
+Proben zu Beethovens Symphonie Nr. 5 (2. & 3. Satz)
Besetzung
Nikolaus Harnoncourt: Ltg.
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