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Stries
Info
Musikrichtung:
Neue Musik Elektronik
VÖ: 11.08.2021 (Mode / Klassik Center Kassel / CD DDD / 2020 / Best. Nr. Mode 328) Gesamtspielzeit: 44:58 |
SCHWERELOS IN ELEKTROAKUSTISCHEN SPHÄREN
Die historische informierte Aufführungspraxis hat die elektronische Musik erreicht: Minutiös haben die Synthesizer-Spieler:innen Colette Broeckaert, Sebastian Berweck und Martin Lorenz zusammen mit Yann Geslin vom INA/GRM sowie Mitarbeitern vom „Zentrum für Kunst und Medien“ in Karlsruhe Bernard Parmegianis liveelektronische Komposition „Stries“ aus dem Jahr 1980 wiedererschaffen („Stries“ ist nicht in der 12-CD-Box enthalten, die 2008 von INA/GRM veröffentlicht wurde). 1980 – in der elektroakustischen Musik mit ihrer schnellen technischen Entwicklung ist das eine kleine Ewigkeit!
Die Neueinspielung wurde möglich, weil viel vom ursprünglichen Material archiviert worden war: Neben einer achtkanaligen Aufnahme existieren die originalen Tonbänder mit der vorproduzierten elektronischen Musik Parmegianis. Außerdem gibt es die Stimmen für die Ausführenden und eine Partitur mit den mehr oder weniger genauen Angaben für die Programmierung der modularen analogen Synthesizer, die im zweiten und dritten Teil des Werks gespielt werden. Das waren ursprünglich Geräte wie der Synthi AKS, das Roland System 100 oder ein Yamaha CS-40, von denen zunächst einmal Modelle beschafft und instand gesetzt werden mussten, um die Patches zu rekonstruieren und zu vermessen. Auf dieser Basis wurden die Klänge dann mit einem virtuell-analogen Equipment auch digital reproduziert.
Bei all dem ergaben sich immer auch gewisse Abweichungen zu den Originalklängen, die vergleichbar sind mit der Wahl zwischen verschiedenen akustischen Klavieren oder Violinen, die unter den Händen verschiedener Interpreten ja ebenfalls immer wieder anders klingen. Am Ende des Prozesses aber war sichergestellt, dass „Stries“ mit den aktuell verfügbaren digitalen Instrumenten wieder aufgeführt werden kann, ohne die analoge Anmutung und ihre unverwechselbare Atmosphäre zu zerstören.
Doch dies sind im Grunde alles technische Details. Was am Ende zählt, ist die Wiedergewinnung eines attraktiven Stücks elektroakustischer Musik. Die rund 45 Minuten, die „Stries“ dauert, entführen in eine heimelig-unheimliche, futuristisch-melancholische Klangwelt, die keinesfalls veraltet wirkt. Meisterlich ist Parmegianis Gespür für akustische Sensationen, die cool-elegante Kombination der verschiedenen Farben, ihre „Optik“ oder „Haptik“, die zwischen mineralisch-rau und gläsern-kristallin changiert, aber niemals kalt wirkt. Hypnotische Ambient-Drones und langsame Fluktuationen verbinden sich mit scharfzackig flirrendem Pointilismus und Geräuschtönen; glitzernde Konstellationen von Bleeps und Bloops perforieren die weitschwingenden Klangbänder und lassen einen analog-digialen Soundkosmos entstehen.
Das alles wird auch in der CD-Stereo-Version schwerelos und räumlich präsentiert, schwebt und webt sozusagen sphärisch vor den Boxen. Also: Auflegen, eintauchen und davonfliegen!
Georg Henkel
Trackliste
1 | Strilento | 17:26 |
2 | Strio | 7:31 |
3 | Stries | 20:01 |
Besetzung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |