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Reviews

Lully – Colasse – Desmarest u.a. (Gens, V. – Bestion de Camboulas, L.-N.)

Passion


Info

Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 02.09.2021

(Alpha / Note 1 / CD / DDD 2020 / Best. Nr. Alpha 747)

Gesamtspielzeit: 57:12

LEIDENSCHAFTLICHE WAHRHEITEN

Mit dem Album „Passion“ kehrt Veronique Gens zu den Ursprüngen ihrer Karriere zurück, die in den späten 1980er Jahren im auf französischen Barock spezialisierten Ensemble "Les Arts Florissants" begann. Inzwischen ist die Grande Dame zwar im Repertoire des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert angekommen, doch die ältere Musik hat sie deswegen nicht aufgeben.

Voilà! Zusammen mit den Musiker:innen des „Ensemble Les Surprises“ und den „Chantres du Centre de Musique Baroque de Versailles“ präsentiert Gens unter der Leitung von Louis-Noël Bestion de Camboulas ein reines Barockprogramm mit französischen Opernpartien von Jean-Baptiste Lully, Pascal Colasse, Henry Desmarest und Marc-Antoine Charpentier.

Deren Figuren sind meist große, um nicht zu sagen: ungeheuerlich Liebende, die allerdings auch zu Ungeheuerlichem fähig sind, um ihre Passion zu befriedigen. Ob es die Klage der Ceres ist, deren Tochter Proserpina von Pluto geraubt wurde, oder das verstörte Rasen der Armida, die sich in ihren Todfeind verliebt hat, oder auch der Hass der Medea, die ihre Nebenbuhlerin durch dämonischen Zauber vergiftet – kompromisslos ist Gens den Seelen(un)tiefen dieser oft ambivalenten Figuren auf der Spur.

Die Sängerin frappiert durch ihre vielschichtige Interpretation und ihren farbenreich nachgedunkelten Sopran, mit denen sie ihren Rollen leidenschaftlichen Atem verleiht. Dabei ist sie immer ganz nah an der dichterischen Vorlage, deren Kraft sie durch ihre leuchtende Deklamation und expressive vokale Gestik, zu der grundsätzlich auch ein differenziertes Vibrato gehört, freisetzt.
Äußerliche belkantische „Schönheit“ steht nicht im Vordergrund, wo es wie hier um Leben und Tod geht. So entstehen Porträts, bei denen die Angemessenheit der Mittel und die Suche nach interpretatorischer Wahrheit genau balanciert erscheinen. Auf ihre ganz eigene Weise gewinnt die Musik eine Intensität, wie man sie bislang eher bei Händel und anderen italienischen Meistern erwartete. Und liest man im Booklet die historischen Beschreibungen der Auftritte von Mademoiselle Saint-Christophe oder Marie Le Rochois, so könnte man meinen, sie bezögen sich auf Gens´ Interpretation.

Das Begleitensemble agiert reflexschnell mit einem angenehm rauen, dunkel-herben Klang und einem manchmal feurigem Temperament. In den instrumentalen Interludien wechseln bukolische Idylle und elementares Sturmgebraus miteinander ab, sie schaffen Ruhe- und Spannungspunkte zwischen den Arien. Dazu tritt gelegentlich der Chor mit individuell timbrierten Einzelstimmen bei gleichzeitiger Geschlossenheit im Gesamteindruck. Alles fügt sich zu einem packenden barocken Opern-Digest. So wie Gens in den einzelnen Nummern dramatisch schlüssig im Kleinen gestaltet, so entfaltet sich das Programm im Großen als eine imaginäre Oper in fünf Akten.



Georg Henkel

Besetzung

Veronique Gens: Sopran

Chantres du Centre de Musique Baroque de Versailles (O. Schneebeli)
Ensemble Les Surprises

Louis-Noël Bestion de Camboulas, Leitung
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