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Lamenti & Sospiri (Arien, Lamenti und Duette)
Info
Musikrichtung:
Frühbarock Gesang
VÖ: 04.06.2021 (Ricercar / Note 1 / 2 CD / DDD 2020 / Best. Nr. RIC 429) Gesamtspielzeit: 92:08 |
SUBLIM
Als müsste die Musik nach dem langem Corona-Lockdown erst wieder entdeckt, gleichsam der Stille entborgen werden: Geradezu ätherisch entfalten sich die Arien, Lamenti und Duette von Sigismondo d'India auf dieser Aufnahme. Jener Zeitgenosse Monteverdis hat wie dieser Anfang des 17. Jahrhundert die Musik erneuert, die Tür von der Renaissance zum Barock aufgestoßen und den einstimmigen, durch einen harmonischen Stützbass begleiteten Sologesang miterfunden. Und wie viele Erfinder in der Musikgeschichte hat man d’India lange Zeit vergessen, während andere Meister nach ihm auf seinen Entwicklungen aufbauen konnten und den Ruhm einheimsten. Diese Musik ist hörbar ein spätes Kind der Renaissance und zugleich die Erstgeborene eine neuen Epoche, die den Menschen mit seinen Empfindungen und Leidenschaften ins Zentrum stellt. Dabei sind d’Indias Kompositionen alles andere als „Vorstufen“ – sie repräsentieren eine vollendete Kunst.
D’India ist ein hingebungsvoller Diener der dichterischen Vorlagen, die teilweise von ihm selbst stammen. Er bringt die Worte und den in ihnen eingeschlossenen Ausdruck, ihre Poesie zum Klingen. Artifiziell, bisweilen gesucht, wie es sich für Werke eines „fin de siècle“ gebührt – aber nie exaltiert. Modern anmutende Chromatik, eingebettet in ein unablässiges Strömen sowie feinste belkantische Verzierungen, die die Musik mit einem delikaten spektralen Schimmer überziehen, sorgen für einen nachgerade psychedelischen Zauber. Berückender kann man nicht klagen, seufzen und gelegentlich auch jubilieren. Man denkt an die Sirenen des Odysseus. Und man bekommt eine Vorahnung dessen, was Richard Wagner später als „unendliche Melodie“ bezeichnet.
Ensembleleiter Leonardo Garcia Alacron bekundet im Booklet seine Bewunderung für d’India – und zugleich seine Sorge, dem geforderten Niveau nicht gerecht werden zu können. Tatsächlich ist diese Musik unerhört schwer, ohne diese Anforderungen an der Oberfläche auszustellen. Sie sucht nicht die große Bühne, sondern durchaus exklusive Kennerschaft, die das Subtile, Sublime schätzt. Die Sopranistinnen Mariana Flores und Julie Roset singen schlacken- und schwerelos unter weitgehendem Verzicht auf Vibrato, was ihrer Interpretation eine gewisse irreale Wirkung verleiht. Feinsinnig werden sie begleitet von der Continuo-Gruppe der Cappella Mediterranea. Diese lässt den „Generalbass“ so gar nicht akademisch trocken klingen, sondern gestaltet ihn kammermusikalisch konzertant – freilich immer im Dienst der Singstimmen, die sich alleine oder zu zweit durch alle Ausdruckshöhen und -tiefen bewegen.
Zusammen mit den Madrigalsammlungen von La Venexiana und Les Arts Florissants oder den Soli, die María Cristina Kiehr aufgenommen hat, ist diese Auswahl ein weiterer substanzieller Baustein der nach wie vor überschaubaren d’India-Diskographie!
Georg Henkel
Trackliste
Besetzung
Cappella Mediterranea
Leonardo Garcia Alacron, Orgel, Cembalo & Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |