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Reviews

Venin

La Morsure Du Temps


Info

Musikrichtung: Power Metal

VÖ: 16.03.2018

(Grumpy Mood)

Gesamtspielzeit: 47:29

Internet:

http://www.facebook.com/Venin-825755124141516/

Mit der Zeit haben’s diese Franzosen irgendwie: Gemäß dem Titel ihres Debütalbums nagt der Zahn der Zeit an ihnen, was er freilich auch an uns allen anderen tut, wenngleich mit unterschiedlichen Auswirkungen. Aber das Konzept geht noch weiter: Sieben der neun Songs auf La Morsure Du Temps kommen zwischen 5:00 und 5:24 ans Ziel, und würde man, was die beiden anderen angeht, „Les Tourments“ 1:45 abknapsen und diese „La Raison Du Plus Fou“ hinzugeben, wären auch diese beiden Songs jeweils exakt 5:25 lang. Das könnte natürlich alles Zufall sein, aber genausogut ist möglich, dass es sich sozusagen um verkappte Mathematiker handelt.
Komme nun allerdings niemand auf die Idee, Venin würden Mathcore oder ähnliche Genres, bei denen man die Rhythmuswechsel per Taschenrechner durchkalkulieren muß, spielen! Die Band aus Aix-en-Provence war schon in den Mittachtzigern aktiv, und da gab es diese Genres noch gar nicht, sieht man mal von den gedanklichen Vorreitern Watchtower im von Frankreich aus sehr weit entfernt gelegenen Texas ab. In dieser ersten Phase brachten es Venin neben einigen Demos allerdings nur zu einer selbstbetitelten, anno 1986 erschienenen EP, deren auch schon auf dem Malédiction-Demo enthalten gewesener Opener übrigens „Passe – temps“ hieß – also beschäftigte das Thema der Zeit die Truppe schon damals, und auch die vier EP-Tracks kamen alle in einem relativ eng bemessenen Zeitfenster zwischen 4:34 und 5:02 ans Ziel, so als ob mit einer Stoppuhr komponiert worden wäre. Von den neun nun auf dem Debütalbum verewigten Songs sind keine auf den alten Tonzeugnissen enthalten gewesen (zumindest nicht auf der EP oder dem Malédiction-Demo – deren Material wurde 2015 bei Brennus auf CD wiederveröffentlicht), also sind sie entweder nach der 2015er Reunion (zwei der vier Altmitglieder sind noch an Bord) entstanden, oder es befinden sich in der ersten Aktivitätsphase unkonserviert gebliebene Überbleibsel unter ihnen. Stilistisch würde letzteres durchaus keine Unmöglichkeit darstellen, denn La Morsure Du Temps könnte problemlos auch in den Mittachtzigern entstanden sein. Venin spielen traditionellen Power Metal, und das einzige, was in den Achtzigern vielleicht ein wenig Stirnrunzeln hervorgerufen haben könnte, ist ein gewisser unkonventioneller Songwritingansatz, der aus heutiger Sicht aber wiederum als Trumpf zu werten ist. Alleinkomponist Jean-Marc Battini baut also gleich in den Opener „Trafiquant De Rock“ im Hauptsolo einen überraschenden, aber hochklassigen Akustikpart ein und erweitert die Präsenz von Akustikpassagen mitten im traditionsmetallischen Umfeld im zweiten Song „Guet-Apens“ gleich noch, während er im Intro des an Position 3 befindlichen Titeltracks mal kurz bluesige Anklänge in entweder seine Gitarrenarbeit oder die seines Kompagnons Fabrice Baud legt, freilich nur so knapp dosiert, dass kein Anhänger der traditionsmetallischen Lehre dem Quartett dafür seine Sympathien entziehen dürfte, auch wenn ihm selber der nachfolgende Doublebassknaller „L’Instant“ möglicherweise mehr zusagen wird, wobei speziell das Hauptsolo mit seiner auf klassische Art und Weise doppelläufig arrangierten Melodie, die es aus dem Hauptteil des Songs übernimmt, für große Begeisterung zu sorgen imstande ist. Überhaupt bildet die Gitarrenarbeit den Haupttrumpf in der aktuellen Venin-Inkarnation: Battini und Baud (letzterer einer der beiden Neuzugänge in der aktuellen Besetzung) überzeugen sowohl mit richtig starker Soloarbeit als auch mit knackigem Riffing, und den Gitarrensound lehnen sie ein wenig an mittelfrühe Accept oder auch an HammerFall, die selbigen ja gleichfalls verehren, an. Das ist natürlich alles nicht originell, aber dafür enorm gut gemacht, auch die Passagen, wo Battini spezielle Atmosphären erzeugen will: Er macht das mit Gitarrenklängen, beispielsweise in „La Faute Aux Souvenirs“ mit angedüsterten westernartigen Saiteneinlagen, und so bleibt La Morsure Du Temps komplett keyboardfreie Zone, was im heutigen Power Metal ja eher Seltenheitswert besitzt. Dafür bieten Venin eher wenig für Speedfreaks: Der erwähnte Doublebassknaller „L’Instant“ kommt durchaus flott zum Ziel, bleibt aber unter der Speedgrenze, und er wird auch von keinem der anderen Songs überholt, nicht mal vom nur 3:40 kurzen „La Raison Du Plus Fou“ am Ende der Platte, während auf der anderen Seite auch der Siebenminüter „Les Tourments“ im Hauptteil durchaus im nicht langsamen Tempo gehalten ist, sondern ein vorwärtsmarschierendes Midtempo einschlägt, dann im Soloteil allerdings in candlemass-kompatibles Doomtempo schaltet und sich auch noch Zeit für die bereits wohlbekannten Akustikelemente nimmt, bevor das Ausgangstempo wiederkehrt, zum Ende hin allerdings nochmal durch ein schleppendes Element mit rhythmischen „Hey-hey“-Anfeuerungen ergänzt wird, das einen unwillkürlich an die alten Zed-Yago-Scheiben erinnert. „Souviens-toi De Moi“ läßt eine Ballade im Bereich des Möglichen erscheinen und gebärdet sich tatsächlich relativ entspannt, auch wenn ab Minute zweieinhalb einige Breaks Spannung erzeugen, aber nicht für lange, denn dann kommt der relaxte Grundton wieder ins zurückhaltende Midtempogeschehen, und selbst der Schlußchor kann diesen nicht mehr entscheidend wegwischen. „La Raison Du Plus Fou“ bringt zum Abschluß wieder ein wenig mehr Dramatik ein, bleibt aber auch stets zugänglich und unterscheidet sich außer in der Länge kaum von der Herangehensweise auf dem Gros der vorderen zwei Drittel des Albums.
Hat La Morsure Du Temps eigentlich einen entscheidenden Haken? Ja – Battinis Vocals. Man gewöhnt sich nach etlichen Durchläufen an sie, und sie sind durchaus nicht schlecht – aber sie passen stilistisch eher in eine Epic-Metal-Formation, während auf die Musik von Venin in traditioneller Herangehensweise eigentlich eine höhere Power-Metal-Stimme gehört, wahlweise auch ein Kreischer im Dirkschneider-Stil. Vielleicht hatte Battini erstgenannte früher auch mal, könnte man vermuten – aber wer die alten Aufnahmen kennt, weiß, dass dem nicht so ist. Schon damals befleißigte er sich einer mittelhohen, irgendwie breit gelagert wirkenden Artikulation, was er prinzipiell auch heute noch tut, und eine solche ist man im Kontext dieses instrumentalen Stils eigentlich nicht gewöhnt. Zudem wird man irgendwie das Gefühl einer gewissen Limitierung nicht los und vermutet, dass Venin mit einem richtigen Könner am Mikrofon nochmal ein paar Prozentpunkte draufzulegen imstande wären. Aber auch in der vorliegenden Form bleibt La Morsure Du Temps ein gefundenes Fressen für alle, die ihren Metal auch heute noch achtzigerlastig, aber nicht einfallslos haben wollen, und dass Annick Giroux den Südfranzosen ein gekonnt gestaltetes Booklet mit allen möglichen und unmöglichen Zeitsymbolen sowie Kinderbildern zusammengebastelt hat, verschafft der Scheibe im Sinne einer konzeptuellen Geschlossenheit den letzten Pfiff.



Roland Ludwig

Trackliste

1Trafiquant De Rock5:24
2Guet-Apens5:19
3La Morsure Du Temps5:00
4L’Instant5:02
5La Nuit Des Fous5:07
6La Faute Aux Souvenirs5:14
7Les Tourments7:10
8Souviens-toi De Moi5:14
9La Raison Du Plus Fou3:40

Besetzung

Jean-Marc Battini (Voc, Git)
Fabrice Baud (Git)
Fabienne Perrio (B)
Vincent Boetto (Dr)
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So bewerten wir:

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11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
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19 bis 20 Überflieger