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Brockes-Passion
Info
Musikrichtung:
Barock
VÖ: 05.03.2021 (Alpha Music / Outhere / Note 1 / 2 CD / 2019 / Best. Nr. ALPHA 644) Gesamtspielzeit: 160:46 Internet: Arcangelo |
BLUTIGES SPEKTAKEL
Ungeachtet der Händel-Renaissance ist dessen Passionsoratorium „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus“, nach dem Textdichter auch kurz: Brockes-Passion, weiter ein selten aufgeführtes Werk geblieben. Dabei war es für die Musikgeschichte schon deshalb nicht unwichtig, weil Johann Sebastian Bach das Werk gut kannte, schätzte und in einigen Punkten hörbar als Inspirationsquelle für seine weit bekannteren Passionsvertonungen nutzte. Die Zurückhaltung mag zum einen daher rühren, dass gegen die Bach-Tradition schwer anzukommen ist, zum anderen aber auch darauf beruhen, dass das von pietistischer Blut- und Opferverliebtheit durchsetzte Libretto (Mel Gibson lässt grüßen) heute kaum noch zu goutieren ist. Überdies ist bei aller Opernhaftigkeit die musikalische Handschrift Händels bei dem vergleichsweise frühen Werk noch nicht durchweg erkennbar. Gleichwohl hat das Oratorium viele starke und bewegende Momente, gerade in den kontemplativ-betrachtenden Arien, aber auch in der feinsinnig gearbeiteten Instrumentalbegleitung.
Das britische Ensemble Arcangelo präsentiert das Werk gemeinsam mit seinem Vocal Consort unter der Leitung von Jonathan Cohen in durchaus drastischen Farben und schonungslos dramatischer Deutung. Dabei zeichnet der Bariton Konstantin Krimmel den Jesus mit entschieden menschlichen Affekten, mal zornig, mal verzweifelt. Stuart Jackson gibt den Evangelisten tonschön und keineswegs in kühler Nüchternheit. Die betrachtenden Arien sind überwiegend der allegorischen Tochter Zion anvertraut. Diese mit Sandrine Piau zu besetzten erweist sich als treffliche Entscheidung, denn ihr Vortrag ist eben keine abstrakte Meditation, sondern so lebendig wie eindringlich – Piau absolviert den Drahtseilakt zwischen opernhafter Zuspitzung und erschütternder Innerlichkeit souverän. Die kleineren Partien wurden Mitgliedern des Chors anvertraut, die ihre Sache durchweg gut – im Falle von Matthew Long (Petrus) sogar hervorragend - machen, wenn man vom problematischen Timbre des Altus Alex Potter absieht.
Einen wesentlichen Teil zur Farbigkeit aber steuert das Instrumentalensemble bei, in dem bis hin zu Laute und Cembalo alle Mitwirkenden das Äußerste aus der Partitur herausholen. Es wird druckvoll, mit größter dynamischer Spannbreite und rhetorisch passgenau musiziert. Die Instrumentaleffekte fallen, dort wo es passt, durchaus grell aus.
Ganz im Sinne von Komponist und Librettist ist dies also keine Passion zum sonntäglichen Genießen, sondern eine Interpretation, die den Hörer nicht selten zusammenzucken lässt und in ihrer Drastik verstört, dabei musikalisch zugleich in höchstem Maße überzeugt.
Sven Kerkhoff
Trackliste
Besetzung
Stuart Jackson: Tenor
Konstantin Krimmel: Bariton
Arcangelo
Jonathan Cohen: Ltg.
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |