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Le Septiesme Livre de Chansons
Info
Musikrichtung:
Renaissance Ensemble
VÖ: 01.08.2021 (Ricercar / Note 1 / CD / 2020 / Best. Nr. RIC 423) Gesamtspielzeit: 61:04 |
PERLEN DER MELANCHOLIE
Faszinierend, wie es Dominique Visse gelungen ist, über die Jahre nicht nur die Reinheit seiner knabenhaften Countertenor-Stimme zu bewahren. Visse, der in den vergangenen Jahren häufig als Opernsänger in „fouriosen“ Charakterrollen des 17. und 18. Jahrhunderts hervorgetreten ist, fügt sich bei aller Individualität des Timbres harmonisch in den Klang seines von ihm 1978 gegründeten Vokal-Instrumentalconsorts „Ensemble Clément Janequin“ ein. Und auch dessen Ansatz ist trotz diverser Neubesetzungen der übrigen Sänger erstaunlich konstant geblieben: eine fein-sinnliche, im Detail angemessen individuelle Tongebung und farbige Expressivität kennzeichnet auch die neueste Aufnahme. Mit Auszügen aus dem 1545 von Tylman Susato veröffentlichten „Le Septiesme Livre de Chansons“ feiert das Ensemble beim Label Ricercar auch sein eigenes Jubiläum noch ein wenig nach und legt sozusagen als Vorecho zum 500. Todestag von Josquin Desprez in 2021 eine Sammlung seiner weltlichen Lieder vor.
Das Album fügt sich nahtlos in die facettenreiche Diskographie des Ensembles. Von ein paar kecken Hits wie der unverwüstlichen „Petite Camusette“ abgesehen lassen die sieben Sänger*innen vor allem herrlich melancholische Perlen aus Josquins Feder aufeinander folgen. Sie zeigen den Komponisten auf der Höhe seiner Kunst der sensiblen und ausdrucksvollen Textvertonung bei vollstimmiger Besetzung. Dass Josquin seine Fähigkeiten so elegant und trefflich in den Dienst seiner poetischen Vorlagen zu stellen wusste, dass sie den Hörer unmittelbar anrühren, machte ihn schon zu Lebzeiten zu einem der ersten „Starkomponisten“. Dafür spricht auch die besagte gedruckte Chansonsammlung Susatos mehr als 20 Jahre nach seinem Tod.
Dominique Visse und seine „Janequins“ lassen diesen Nachruhm 500 Jahre später wieder aufleuchten und widmen sich der reichen Musik mit so viel selbstvergessener Tonschönheit (die gleichwohl auch handfest sein kann), mit dynamischer Finesse und der richtigen Dosis dissonanzgeschärfter Expressivität, dass man gleich noch mehr hören möchte. Erfreulicherweise hat das Ensemble bereits 1988 eine erste Josquinsche Chansonsammlung unter dem Titel „Adieu mes amours“ (harmonia mundi) herausgebracht hat, mit der sich nur einige Stücke überschneiden, andere dafür in abweichender Fassung bzw. Besetzung zu hören sind.
Die ältere Aufnahme setzt ein Gambenconsort als instrumentale Begleitung ein, die jüngere bietet Spinett, Orgelpositiv und Laute auf – als Begleitung oder auch für instrumentale Einlagen, die vor allem das berühmte „Mille regretz“ in Adaptionen durch Josquins Kollegen Luis de Narvaez und Hans Newsidler bieten (die vokale Originalfassung gibt es auf der älteren Aufnahme). Bedauert wird in dieser Musik ohnehin viel und ausgiebig, besingt Josquin doch vor allem die unglückliche und unerfüllte Liebe in all ihren Schattierungen. Monumentale Kompositionen wie das eröffnende „Regretz sans fin il me fault endurer“, das zentrale „Du mien amant“ und ein Klassiker wie der Trauergesang auf Johannes Ockeghem, „Nymphes des bois“ bilden dabei gleichsam die Eckpfeiler des Programms. Gekrönt wird es mit zwei erhabenen sechs- bzw. siebenstimmige Klagen auf den Tod Josquins, „O mors inevitabilis“ (Hieronimus Vinders) sowie „Musae Jovis“ (Nicolas Gombert).
Ich bin mir aber sicher, dass dieses schöne Album Jupiters Musen mehr als trösten wird!
Georg Henkel
Besetzung
Yoann Moulin, Spinett & Orgelpositiv
Eric Bellocq, Laute
Dominique Visse: Lgt. und Countertenor
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |