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Chansons à boire et à danser / Airs de cour
Info
Musikrichtung:
Barock Ensemble
VÖ: 02.10.2020 (Ramée / Outhere / Note 1 / CD / DDD / 2019 / Best. Nr. RAM 1910) Gesamtspielzeit: 53:31 |
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Der Pariser Musiker Jean Boyer, von dem nur das Todesdatum 1648 gesichert ist, gehört zu den zahlreichen Komponisten, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Frankreich niveauvolle Musik für den Hausgebrauch und für höfische Feste komponierten: Tanz- und Trinklieder, sogenannte Chansons à boire et à danser, die man bei geselligen Anlässen gemeinsam um einen Tisch herum sitzend musizieren konnte. Diese unkomplizierten und herzhaften Gesänge sind sozusagen Ableger jener aristokratischen Airs de cour, die als Einlagen für die Hofballette meist die Liebesfreuden und -leiden zum Thema hatten und als Auskopplungen veritable Hits waren. Boyer war in beiden Genres zu Hause.
Das Ensemble "Ratas de viejo Mundo" (der launige spanische Name der international besetzten Formation bedeutet „Ratten der alten Welt“) präsentiert eine Auswahl aus den gedruckten Sammlungen mit Boyers Werken. Der Komponist versteht sich darauf, Melodie, Harmonik und Rhythmik in die rechte Balance zu bringen ohne platt oder bemüht zu wirken; seine Musik ist im besten Sinne unterhaltsam und ansprechend, in den Airs de cour von oft betörender Melancholie. Man versteht sogleich, wieso diese Gattungen für die französische Musik so prägend waren.
Die Stücke mögen sich auf dem Papier vergleichsweise schlicht ausnehmen, aber die jeweilige Umsetzung durch das Ensemble entlockt ihnen doch immer wieder schöne Stimmungen und steigert ihr Wirkung durch klangfarbliche Reize. Die im Ganzen entspannte Interpretation nimmt sich manchmal gewisse Freiheiten, präsentiert die Stücke ein- oder mehrstimmig mit einer erweiterten, instrumentalen Palette, die neben der obligatorischen Laute u. a. auch Gambe, Gitarre, Harfe, Theorbe, ein Lautencembalo und eine besondere Spielart der Zitter oder des Psalters umfasst, nämlich das litauische Kanklés.
Mit improvisierten vor- und Zwischenspielen oder kleinen Tänzen werden delikate rein instrumentale Fäden eingewoben. Eine mitunter archaisierend „folkige“ Tongebung der Sängerin und Kanklés-Spielerin Indre Jurgeleviciute geht zusammen mit der Kultiviertheit und lässigen Noblesse der übrigen Musiker, die durch freie Verzierungen noch gesteigert wird – man hört gewissermaßen die quellengestützte Profi-Version, die über das notengetreue Buchstabieren der damaligen Amateure hinausgeht. Doch auch bei den ausgelasseneren Stücken vergisst man nie, dass man in Frankreich ist, nichts wirkt übertrieben oder gezwungen „interessant gemacht“, selbst wo exotische Zutaten wie das Kanklés dazukommen.
Eingängiges ergibt sich da zwanglos wie von selbst, man ertappt sich dabei, die Melodien mit zu summen und mit dem Fuß zu wippen. So ist ein Album entstanden, dass diese kleinen Preziosen im bestmöglichen Licht präsentiert und eine Repertoirelücke sehr einnehmend schließt, ohne allzu korrekt historisierend zu sein.
Georg Henkel
Besetzung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |