Reviews
The New Chapter
Info
Musikrichtung:
Metal
VÖ: 15.09.2017 (Jolly Roger / Cargo) Gesamtspielzeit: 43:42 Internet: http://www.unrealterror.com |
Diese italienische Band hat eine äußerst interessante Namensgebung: Gegründet 1979 als UT. (übrigens als Trio mit singendem Drummer), entschloß man sich 1982, doch die ausführliche Version Unreal Terror zu wählen, was vor dem seinerzeitigen politischen Hintergrund in Italien ein etwas gewagter Schritt war, arbeiteten Stay-Behind-Organisationen wie Gladio in jener Zeit doch gerade mit der Strategie des irrealen Terrors, der sich nur gelegentlich in realem manifestierte, aber seine Wirkung eben durch diese Kombination entfaltete und politisch dadurch gekennzeichnet war, dass man den realen Terror den linksgerichteten Kräften in die Schuhe schob. Da der italienische politische Untergrund bekanntlich nicht mit sich spaßen läßt, lebte man als Metalband namens Unreal Terror durchaus nicht ungefährlich, wenngleich der Nicht-Erfolg der Band in den Achtzigern wohl eher andere Hintergründe hatte: Die Metalszene in Italien war deutlich stärker atomisiert als in anderen Ländern (was sie noch heute sein soll – so jedenfalls der Tenor eines Szene-Specials in einem der großen deutschen Metal-Magazine vor noch nicht allzulanger Zeit), die zwei offiziellen Releases der Band, eine EP und ein volles Album, sollen soundqualitativ eher gewöhnungsbedürftig gewesen sein, und auch eine Bewerbung bei den seinerzeit eine starke Stellung aufweisenden Berlinern von Noise Records nach der EP führte nicht zu einem internationalen Signing, so dass die Band 1988 die Segel strich.
Nach etwa einem Vierteljahrhundert Inaktivität kehrten auch Unreal Terror auf die Bildfläche zurück, zunächst nur auf die Bühnen, aber mittlerweile auch mit einem neuen Album namens The New Chapter, das erstmal keine größeren Soundprobleme offenbart (das stark unterschiedliche Soundgewand in den Rhythmusgitarren von Song zu Song dürfte wohl Absicht sein), allerdings mit einem erstaunlich niedrigen Pegel abgemischt ist, so dass man seine Anlage eine Stufe lauter drehen muß, um die gleiche Lautstärke wie bei anderen aktuellen Scheiben ins Zimmer gepustet zu bekommen – aber das ist ja technisch kein Problem, und man darf vor der nächsten CD dann nur nicht das Zurückdrehen vergessen. Vom alten Quartett sind noch drei Musiker am Start, nämlich die Rhythmusgruppe, beides Gründungsmitglieder, und der 1983 dazugestoßene Sänger – aktuell aber agiert die Formation als Quintett, nämlich mit zwei Gitarristen anstatt mit nur einem wie in den Achtzigern. Und noch etwas fällt auf: Hatte Bassist Enio Nicolini das alte Material weitgehend im Alleingang geschrieben, so fällt die Rolle des Hauptsongwriters nunmehr Sänger Luciano Palermi zu, bei vier der zehn Songs noch unterstützt von einem oder auch beiden Neu-Gitarristen, während eine Mitwirkung des Tieftöners nirgendwo vermerkt ist. Nun ist der Kenner des alten Materials gefragt, um festzustellen, ob das eigentümliche Harmonieverständnis schon damals auftrat oder es sich um eine spezielle Eigenart des Palermi-Songwritings handelt. Zwar haben wir hier im Grundsatz traditionellen Metal vor uns, aber die Harmonik erinnert bisweilen eher an Fates Warning in der mittelfrühen Ray-Alder-Ära, und zwar speziell die Alben Inside Out und A Pleasant Shade Of Grey, wo sich einiges Schräg-Gedüstere oder gar der eine oder andere grungige Anstrich eingeschlichen hatten. Natürlich kopieren Unreal Terror den Kunstrock der Mannen um Jim Matheos nicht, aber den einen oder anderen Gedanken in Richtung der großen Amerikaner kann man sich beim Hören nicht verkneifen, zumal auch die Akustikgitarreneinsätze nicht so sehr weit von dem entfernt liegen, was Matheos mit diesem Instrument anzustellen pflegte. Daß mit „Ordinary King“ ein strophenseitig komplett akustikdominierter und auch sonst eher zurückhaltend agierender Song den Opener von The New Chapter bildet, könnte den unbedarften Hörer freilich erstmal gehörig in die Irre führen und ihn eine reinrassige Melodic-Rock-Scheibe (mit dem erwähnten eigentümlichen Harmonieverständnis) erwarten lassen, bevor mit „Time Bomb“ dann allerdings eine flotte und härtere Nummer folgt, die die Gesamtausrichtung klar in Richtung Metal verschiebt, wo sie dann auch bleibt, was das Vorhandensein einer Quasi-Halbballade wie „The Thread“ selbstverständlich nicht ausschließt. Auch hier schieben Unreal Terror mit „One More Chance“ aber gleich eine härtere Nummer hinterher, um die Verhältnisse klarzustellen. Richtig speedlastig agieren sie hingegen während der ganzen knapp 44 Minuten nicht, bauen keine Klassikzitate ein und beschäftigen auch keinen Keyboarder, hängen sich also nicht an den in den Neunzigern gängigen und noch heute von so mancher Band gepflegten Italometal an. In „richtiges“ Speedtempo verfallen sie nur in „It’s The Shadow“, hier aber flankiert von Akustikpassagen mit partiellen Halftimedrums und einigen kernigen geradlinigen, eher schleppenden Power-Metal-Riffs. Experimente gibt es außerhalb der genannten Harmonik und einigen etwas verquer wirkenden Drumpassagen in diversen Breaks auf der Scheibe nahezu keine – das Sprachsample im bereits genannten Opener stellt da bereits einen von zwei Gipfeln der „Abweichung“ dar (zum anderen am Ende mehr). Wer hingegen Material der Band Arkana Code besitzt, kann prüfen, ob er Einflüsse von ebenjener Truppe findet, deren Gitarrist Paolo Ponzi auch die eine der beiden Gitarrenplanstellen bei Unreal Terror besetzt und hier unter dem Pseudonym Arkanacodaxe firmiert.
Festgehalten werden muß allerdings noch der Aspekt, dass Palermis Stimme irgendwie merkwürdig wirkt, vor allem in der Höhe angestrengt, generell aber eher in mittleren Lagen angesiedelt und mit einem Epic-Metal-Touch, der indes eher so wirkt, als habe der Fronter früher anders geklungen und sei nun auf der Suche nach einem passenden Stil für seine älter gewordene Stimme, den er aber noch nicht gefunden hat. Ebenso wie an die genannte Harmonik hat man sich auch daran noch nach etlichen Durchläufen nicht gewöhnt, was den Hörgenuß etwas schmälert. Ob Liebhaber der alten Aufnahmen besser mit dem neuen Material zurechtkommen oder aber im Gegenteil vor noch größeren Anpassungsschwierigkeiten stehen, kann der Rezensent mangels Besitzes der frühen Scheiben nicht ergründen. Daß vor allem die Gitarristen was drauf haben, zeigen sie u.a. in den phantasievollen Soli von „Lost Cause“ und „Western Skies“ – und ein Experiment, nämlich das oben erwähnte zweite, gibt es zum Schluß des letzteren Songs, zugleich Closer des Albums, dann doch noch: Der Song bricht plötzlich ab und geht in einen dramatisch-marschartigen Part über, ausstaffiert mit halbakustischer Gitarre und einer gepfiffenen Leadmelodie. Da fühlt man sich in einen klassischen Italo-Western versetzt. Aus dem Sattel reißt einen aber auch diese Sequenz letztlich nicht mehr, und man bleibt nach dem Hören des in oldschooliger Manier knapp dreiviertelstündigen Albums irgendwie hilflos zurück, obwohl The New Chapter durchaus seine interessanten Momente hat.
Roland Ludwig
Trackliste
1 | Ordinary King | 4:37 |
2 | Time Bomb | 3:50 |
3 | All This Time | 3:33 |
4 | Fall | 5:26 |
5 | The Thread | 5:36 |
6 | One More Chance | 3:52 |
7 | Trickles Of Time | 4:52 |
8 | It's The Shadow | 3:29 |
9 | Lost Cause | 4:26 |
10 | Western Skies | 3:54 |
Besetzung
Iader D. Nicolini (Git)
Paolo Ponzi (Git)
Enio Nicolini (B)
Silvio Canzano (Dr)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |