Reviews
Decibel Casualties
Info
Musikrichtung:
Power / Thrash Metal
VÖ: 09.06.2017 (Pure Steel / Soulfood) Gesamtspielzeit: 35:29 Internet: http://www.facebook.com/DestructorMetal |
Eine komische Platte, was diverse strukturelle Dinge angeht. Das Booklet sagt, diese Scheibe sei von Sänger/Gitarrist Dave Overkill, Drummer Matt Flammable, Bassist Jamie Boulder und Gitarrist Pat Rabid geschrieben worden, in der Liste der Einspieler ist letzterer aber durch Nick Annihilator ersetzt worden, und auf dem Bandfoto auf der Bookletrückseite gibt es auch den Drittgenannten nicht mehr, sondern statt dessen einen Menschen namens Tim Hammer, wobei in der Danksagung aber sowohl Boulder als auch Hammer ihren Beitrag leisten dürfen. Aber damit enden die Merkwürdigkeiten noch nicht: Das vorliegende 8-Song-Album ist 2017 erschienen, aber es gab 1987 schon mal ein gleichnamiges 4-Track-Demo, wobei die vier dort vertretenen Songs freilich allesamt andere Titel tragen. Außerdem spielte 1987 noch Dave Holocaust Baß, der am Neujahrstag 1988 nach einer Silvesterfeier erstochen wurde, so dass auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich auf der 2017er Scheibe Neueinspielungen von 1987er Tracks mit veränderten Lyrics befinden, eher gering ist, denn Boulder stieß erst nach der Reunion der in den frühen Neunzigern nach vergeblicher Bassistensuche aufgelösten Band dazu. Die Encyclopedia Metallum nennt ihn als Bandmitglied von 2002 bis 2012, so dass es sich bei den acht Albumtracks also entweder um Songmaterial aus jener Periode, das es weiland noch nicht zu Tonträgerehren gebracht hatte, handelt oder aber Boulder auch nach seinem Ausscheiden als aktives Bandmitglied noch weiter am Songwriting beteiligt ist, wie das beispielsweise Kurdt Vanderhoof bei Metal Church in den Spätachtzigern und Frühneunzigern praktizierte. Wer den 1998er Re-Release des einzigen Albums der Frühgeschichte Destructors, Maximum Destruction, besitzt, kann die vier 1987er Songs nachhören, denn die wurden dort als Bonustracks hinzugefügt – der Rezensent gehört allerdings nicht zu diesem Personenkreis.
Wie sich die Lage konkret verhält, kann an dieser Stelle folglich nicht näher ergründet werden – konzentrieren wir uns in der Betrachtung also auf die in oldschooliger Weise nur 35 Minuten Musik des aktuellen Acht-Trackers. Schon die erste Inkarnation Destructors in den Achtzigern hatte einen zwischen Power und Thrash Metal pendelnden Sound bevorzugt, und das tut das Quartett auch heute noch. Auf der Coverzeichnung, die einen Gig der Band zeigt, der von einem über der Bühne schwebenden Monster, auf dessen Schädel eine Weltkarte (!) abgebildet ist, beobachtet wird, steht aus Betrachtersicht ganz vorne ein Banger mit einer Kutte, auf der unter dem Destructor-Patch noch welche von drei weiteren Bands prangen: Slayer, Overkill und Exciter. Erstgenannte haben eher wenig Spuren im Schaffen der Band aus Ohio hinterlassen, die anderen beiden aber schon, wobei Destructor vom Grundsound her näher an den letztgenannten liegen, zugleich aber auch ein paar Einflüsse von der US-Westküste nicht verleugnen können: Lääz Rockit fallen einem beispielsweise ein. Dass es dabei keinerlei Experimente gibt, war zu erwarten: Destructor sind Metal, Metal und nochmals Metal, wobei sie nicht nur bis zum nächsten Bier und zum nächsten Gig denken, sondern sich durchaus ihre Gedanken über die heutige gesellschaftliche Situation machen, wenngleich selbstredend auch die „Hurra, wir spielen Metal“-Schiene bedient wird. Der Opener „Restore Chaos“ entpuppt sich in der Gesamtbetrachtung auch als der schnellste Song der Platte, der mit seinen drückenden Stakkatodrums enorm viel Druck macht, während „Keep The Faith“ (natürlich kein Bon-Jovi-Cover, aber hätte hier jemand mit einem gerechnet?) im schnellen Ufta-Ufta-Rhythmus ans Ziel gelangt und sich die restlichen Songs irgendwo zwischen vereinzelten Midtempo- oder gar schleppenden Lagen und dem erwähnten tempolastigen Gebolze bewegen. Zumeist frönen Destructor dabei der klassischen Songwriting-Linie, nur eine Idee zu entwickeln und aus dieser dann einen Song zu machen, anstatt dauernd neue Ideen aneinanderzureihen, was gewisse Kombinationen selbstredend nicht ausschließt. So beginnt „Metal Spike Deep“ noch in für Bandverhältnisse eher gemäßigtem, wenngleich immer noch recht treibendem Midtempo, aber Matt Flammable schaltet auch hier später noch in flotte Stakkati um. Dass er auch etwas ungewöhnlichere Rhythmen spielen kann, bei denen der gemeine Headbanger der Achtziger Knoten in den Nacken bekommen hätte, beweist er im Mittelteil von „We Are Ready“, und nein, das ist keine Anbiederung an den „modernen“ Thrash der Biopanturahead-Schule der Neunziger, obwohl die durchaus mit ähnlichen Schlagzeugfiguren arbeiteten. Dass der Song trotzdem zu den nicht ganz so überzeugenden gehört, liegt in diesem Fall an Dave Overkills Gesang: Der Vokalist hat im Direktvergleich mit den Achtzigern doch etwas abgebaut. Damals durchaus auch in höheren Gefilden aktiv, versucht er aktuell in epicmetalkompatiblen breiten Mittellagen zu singen, hinterläßt aber dabei nicht immer einen sicheren Eindruck und überzeugt eher, wenn er unmelodisch shoutet, was er freilich aktuell eher selten tut. Trotzdem bildet er, so leid einem diese Feststellung tut, die niedrigste Daube im aktuellen Destructor-Faß, und so verwundert es nicht, dass das leider nur knapp dreiminütige Instrumental „Fiery Winds“ unter diesen Umständen das Highlight des Albums bildet. „The Last Days“ wiederum eignet sich als Untermauerung der genannten These: Overkill und sein Gitarrenkompagnon Annihilator schütteln sich da unter anderem richtig starke zweistimmige Passagen aus dem Ärmel, aber der Gesang wirkt kurzatmig, wenngleich nicht richtig schlecht, und man kann ja zu Hause (oder im Konzert) ja immer noch versuchen, den Vokalisten in der mitsingbaren Songtitelzeile zu übertönen. Dafür haben die Destructor-Songwriter nun wieder ein gutes Händchen: Die Refrains bekommt man auch mit einem gewissen Alkoholpegel noch formuliert, vielleicht sogar noch tontreffsicherer als Overkill in „Metal Till Death“. Mühe gibt er sich natürlich, Enthusiasmus absprechen kann man ihm auch nicht, aber irgendwann fordert das Alter dann eben doch mal seinen Tribut. Wer sich davon nicht stören läßt, der bekommt hier eine interessante Scheibe im Grenzbereich zwischen Power und Thrash Metal, und gerade der genannte Lääz-Rockit-Vergleich ist durchaus markant genug, um Anhängern der einen auch das Antesten der anderen zu empfehlen, wenngleich Michael Coons in punkto Gesang zumindest in der klassischen Aktivitätsperiode der Band natürlich ein anderes Kaliber war. Mit dem abschließenden Sechsminüter „In Hell“ packen Destructor auch noch eine etwas vielschichtiger arrangierte Nummer mit überraschendem melodieseligem Mittelteil aus, die die gut hörbare und natürlich völlig oldschoolig produzierte Scheibe auf achtbarem Niveau abschließt. Und wer sich diese Frage schon die ganze Zeit gestellt hat: Ja, wem die pseudoböse Attitüde von Destruction auf den Keks geht, der könnte mit Destructor vielleicht glücklicher werden.
Roland Ludwig
Trackliste
1 | Restore Chaos | 4:09 |
2 | Keep The Faith | 5:01 |
3 | Metal Spike Deep | 4:13 |
4 | We Are Ready | 4:48 |
5 | The Last Days | 4:36 |
6 | Fiery Winds | 2:42 |
7 | Metal Till Death | 3:48 |
8 | In Hell | 6:08 |
Besetzung
Nick Annihilator (Git)
Jamie Boulder (B)
Matt Flammable (Dr)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |