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Barricades
FREUNDSCHAFTLICHE RESONANZEN
Mit klug abgestimmten Konzeptalben ist der junge französische Cembalist Jean Rondeau bislang hervorgetreten: Ob es sich um eine Zusammenstellung der spätbarocken französischen Meister Rameau und Royer („Vertigo“), um eine Revue mit Scarlatti-Sonaten oder um ein Bach-Familienalbum mit Cembalokonzerten von J. S. Bach und seinen Söhnen („Dynastie“) handelt: Rondeau hat um Gesamteinspielungen bislang einen Bogen gemacht und widmet sich lieber handverlesenen Programmen. Damit freilich hat sich der preisgekürte Musiker einen vorzüglichen Ruf als einer der führenden neuen Interpreten seiner Generation gemacht und zugleich ein weites Repertoire-Feld abgesteckt.
Bei der jüngsten Produktion hat sich Rondeau mit einigen Musikerfreund*innen zusammengetan, um erneut ein französisches Programm zu realisieren. Mit dem Theorbisten Thomas Dunford, den Sängern Lea Desandre und Marc Mauillon sowie der Gambistin Myriam Rignol widmet er sich Werken von Cembalomeistern wie François Couperin, Antoine Forqueray oder Jean-Henri d’Anglebert sowie der Lautenmusk von Robert de Visée. Weitere Werke des Gambisten Marin Marais oder Vokalkompositionen von Michel Lambert, Marc-Antoine Charpentier und Jean-Philippe Rameau runden das Programm ab.
Der „rote Faden“ für die Zusammenstellung sind offenbar die Vorlieben der Interpreten, ihre Faszination für bestimmte Stücke und – natürlich - die hohe Qualität dieser Musik, wobei das titelgebende „Les Barricades misterieuses“ von Couperin sein Geheimnis nicht weiter enthüllt. Von irgendwelchen Hemmnissen oder Blockaden in der Ausführung oder beim Zusammenspiel ist bei den erlesenen Interpretationen nun wirklich nichts zu hören, im Gegenteil ...
Das Herzstück bei den Interpreten bildet das Duo Rondeau-Dunford, das sich beim gemeinsamen Musizieren einige Freiheiten herausnimmt, wenn es Cembalokompositionen Couperins oder eine Lautensuite von Visée mitunter in einer Doppelbesetzung ausführt, wobei der jeweilige Partner zur komponierten eine zusätzlich arrangierte oder improvisierte Stimme beisteuert. Ursprünglich für die Gambe vorgesehene Kompositionen von Forqueray werden sich ebenfalls auf diese Weise angeeignet. Dies freilich dürfte Hörenden, die die Originale nicht kennen, kaum auffallen – es fügt sich alles naht- und bruchlos ineinander, ebenso stilkundig wie geschmackvoll werden die Vorlagen erweitert bzw. „übersetzt“: Es entspinnt sich ein freundschaftlich-barockes Spiel mit Resonanzen, das durch die Rondo-Strukturen der jeweiligen Stücke unterstützt wird, denn dadurch ergeben sich die nötigen Variationen in der Ausführung wie von selbst. Mal dominiert der eine, dann wieder der andere Spieler; oder es wird solistisch begonnen und die Musik nach einer Einschwingphase gemeinsam weitergesponnen, um ihre Möglichkeiten jenseits des notierten Originals zu erkunden. In jedem Fall werden die klanglichen Möglichkeiten erprobt und der Ausdruck vertieft.
Dieses faszinierende Wechselspiel führt zu manchmal wirklich betörenden Ergebnissen wie bei dem herrlich melancholischen „Le Dodo ou l'amour au berceau“ von Couperin. Die Artikulationskünste von Rondeau und Dunford, die unaufdringliche Virtuosität und verführerische Nonchalance, mit der die Klangräume ausgemessen werden, veredeln die per se kunstvolle Musik zusätzlich, ohne dass es ins Gekünstelte und Manierierte abdriftet. Gleiches gilt auch für Forquerays "La Jupiter" - ein feurig-funkelndes Götter-Portrait, bei dem der tänzerische Groove sich mit der brillanten Virtuosität der beiden Spieler verbindet, die sich gegenseitig hochjazzen und regelrecht in die Kurven der rasanten Musik legen.
Und da, wo „nur“ einer der Musiker spielt, wie z. B. Rondeau bei einem Prelude aus einer Cembalo-Suite von D’Anglebert, fehlt es umgekehrt auch an nichts, vielmehr kann man sich dem meditativen Sog der wie improvisiert wirkenden Musik nur schwer entziehen.
Die kurzen Vokalnummern, die von den charakteristischen Stimmen des Baritons Marc Mauillons und der Sopranistin Lea Desandre beigesteuert werden, fügen sich diskret ein und verwandeln das Programm vollends in eine kammermusikalische Soiree, wie man sie sich in den königlichen Appartements von Versailles um 1700 vorstellen könnte.
Und wer mag ausschließen, dass die Komponisten, die teilweise als Kollegen zur gleichen Zeit am Hof wirkten und miteinander musizierten, nicht auch derart selbstverständlich die Stücke aus dem Moment immer wieder neu entstehen ließen? In jedem Fall: Eine Fortsetzung dieser barrikadefreien Zugänge wäre hochwillkommen ...
Georg Henkel
Trackliste
1 | F. Couperin: Les Barricades misterieuses; Le Dodo ou l'amour au berceau; Prelude C-Dur |
2 | R. Visee: Suite Nr. 7 d-moll |
3 | M. Lambert: Mes jours s'en vont finir |
4 | M. Marais: Les Vox humaines; La Reveuse |
5 | M. A. Charpentier: Sans frayeur dans de bois |
6 | H. d'Anglebert: Prelude d-moll; Sarabande grave |
7 | A. Forqueray: La Portugaise; La Sylva; La Jupiter |
8 | J. Ph. Rameau: Je vous revois |
Besetzung
mit Thomas Dunford, Theorbe und Myriam Rignol, Gambe sowie Lea Desandre (Mezzosopran) und Marc Mauillon (Bariton)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |