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Rosenkranzsonaten
Info
Musikrichtung:
Barock Kammermusik
VÖ: 07.02.2020 (Pan Classics / Note 1 / 2 CD 2019 / DDD / Best. Nr. PC 10409) Gesamtspielzeit: 143:00 |
BAROCKE EXERZITIEN FÜR DEN KLANGKÖRPER DER SEELE
Wie der Barock-Geiger Gunar Letzbor sich im Beiheft zu seiner nunmehr zweiten Einspielung der "Rosenkranz-Mysterien-Sonaten" von Heinrich Ignaz Franz Biber äußert, bekommt man gleich Lust auf die Musik. Wenn er sich engagiert über Details der Continuo-Besetzung und die Gestaltung der Verzierungen, über die verschiedenen Stimmungssysteme, über seinen Glauben und den optimalen Hör-Ort vor den Boxen äußert, dann ist das nicht nur ungemein kenntnisreich und sympathisch. Vielmehr ist es auch das beste Argument für die "klassisch ausgestattete" CD, die ein wunderbares Medium für ein wertschätzendes Hören sein kann.
Freilich kann Bibers Musik in dieser, es sei gleich vorab gesagt, Geist und Gemüt gleichermaßen ergreifenden Einspielung den Hörer auch ohne Erläuterungen unmittelbar berühren. Doch Letzbors Ausführungen zeigen: Der hier zu erlebende Grad an interpretatorischer Souveränität und Reife, an handwerklichfer Perfektion und musikalischer Tiefe ist nicht mal eben nebenbei in einem Aufnahmestudio zu realisieren, sondern die Frucht eines musikalischen Lebens und einer blühenden musikalischen Kultur, die Menschen, Instrumente, Forschung, Zeit, Raum und Ressourcen zusammenbringt. Man vergisst bei dem allzeit verfügbaren digitalen Überangebot nur allzu oft, dass es sich bei einer guten Musikaufnahme um eine kulturelle Höchstleistung handelt.
Biber war ein Violin-Avantgardist des 17. Jahrhunderts, der die Möglichkeiten seines Instruments auf eine erste epochale Höhe trieb. Seine Rosenkransonaten komponiert er zwischen 1678 und 1687 für die Andachten der Salzburger Rosenkranzbruderschaft. Das lässt Frömmigkeit, vielleicht auch ein bisschen gediegene Langweile erwarten. Doch die christlich-katholisch grundierte Leib-Geistlichkeit des Barock ermöglicht es Biber, die Gegensätze aufs Kunstvollste und Schönste zu vereinen, um auf Erden Engelsmusik zu inszenieren und die Seele in leidenschaftliche und mystische Schwingungen zu versetzen. Hoch- und Volkskultur, Kunst und Leben, Unterhaltung und Erbauung begegnen in diesem Zyklus als selbstverständliche Einheit. Esoterik und Mystik äußern sich in unmittelbar "verständlicher", naiv-schöner Musik (die doch zugleich hochgradig ausgetüfftelt ist und vielerlei kompositorische wie spieltechnische Kunstgriffe integriert).
Bibers Geige tanzt, sie singt, spricht, sinniert, sie malt und deutet aus, sie packt und entrückt - in Klängen, Tönen, volkstümlichen Melodien, schwingenden Rhythmen, Kirchenchorälen. Sie ergeht sich in verspieltem Rankenwerk und fantasievollen Variationen. Erst durcheilt sie jubilierend den Klangraum (der in dieser Aufnahme vom offenen 8-Fuß-Prinzipal-Registers des Orgelpositivs geöffnet wird, ein wahrhaft fürstlicher Ohrenschmaus!). Dann wieder hält sie in Momenten meditativer Ruhe buchstäblich die Zeit an und stürzt in abgründige, geheimnisvolle Stillen.
In den dramatischten Momenten, in denen die Passion Christi repräsentiert wird, arbeitet sie sich, sekundiert von Zupfinstrumenten und Violone, tief in den Klangkörper vor: Mit kraftvoll-akkordischen Gesten werden die Geißelhiebe, mit denen der Körper Jesu gemartert wird, ebenso plastisch vergegenwärtigt wie die triumphalen Trompetensignale, mit denen die Auferstehungsglorie des verklärten Christusleibes beschworen wird.
Dass im Finale der peingesättigten "Kreuztragungs-Sonate" plötzlich zärtlicher "Vogelgesang" sich vernehmen lässt, wirkt da wie ein neutönerischer Schockmoment. Diese extremen Gegensätze, das Himmlische im Höllischen, das Geistliche im Leiblichen, die Erlösung im Leiden, vermochte wohl nur das Barockzeitalter auf derartige Weise zusammen zu sehen (bzw. zu hören). Und stets tanz-singt diese Musik von innen heraus, mal fein und verhalten, dann wieder ungebremst und ekstatisch. Vielleicht wäre dies eine angemessene Form der Rezeption dieser Stücke in unserer körperversessenen Zeit: Nicht andächtig stillsitzend, sondern auch äußerlich sichtbar bewegt, indem die Musik durch den ganzen Körper hindurchgeht und sich durch diesen ausdrückt. Versuche, sie auch choreographisch zu interpretieren, hat es jedenfalls schon gegeben.
Wie auch immer: Es sind Musiker wie Gunar Letzbor und seine Mitstreiter, die sich über viele Jahre in die Noten Bibers, in barockmusikalische Forschung und Praxis vertieft haben und nach einer ersten bemerkenswerten Einspielung 1996 erneut dafür sorgen, dass diese Musik die Seele des Zuhörers "temperieren" und in unterschiedliche Affektzustände versetzen kann. Es ist eine Lust, hier einfach "nur" zuzuhören, auch weil die sorgfältige Vorbereitung der Instrumente bei dieser Aufnahme für deren optimale klangliche Entfaltung und sinnliches Zusammenspiel sorgt. Wegen der von Biber geforderten komplizierten Umstimmungen der Saiten (Skordatur) und der notwendigen Ruhezeiten sind mehrere Violinen nötig, um eine solche Aufnahme in einer akzeptablen Zeit zu realisieren.
Im barocken Aufnahmeraum des Augustinerchorherrenstift St. Florian klingt das schlicht grandios, fast schon überreif und saftig. Letzbor Instrumente verfügen gleichermaßen über zärtlich verhaltene kammusikalische wie aufrauschende orchestrale Register, bleiben aber auch in den Harschheiten der Passionsschilderungen immer musikalisch. Vom dunkelen Bordeaurot bis hin zu flammenden Kupferschattierungen reicht das Spektrum der Klangfarben. Altgold mischt sich mit Erde und Mineralischem. Ein enormes dynamisches Spektrum verräumlicht die Musik gleich von Anfang an, suggeriert unterirdische Tiefen und himmlische Weiten. So assoziiert man immer wieder den Figurenschmuck und den fantasievollen Stuck barocker Kirchen und Kapellen mit ihrem dramatischen Spiel von Licht und Schatten - ein theatrum sacrum musicum.
Letzbors Begleiter von Ars Antiqua Austria bzw. dem Salzburger Lauten Consort bilden mit dem Geiger eine Einheit, hier wird nichts um der schönen Wirkung Willen "koloriert" und interessant gemacht, sondern alles aus der Bedeutung der Musik heraus entwickelt. Auch die Askese war dem Barock nicht fremd. So wirkt dieser musikalische Rosenkranz auf ganz sinnfrohe Weise auch wieder streng und erhaben, die Virtuosität ist kein Selbstzweck, sondern Ausdrucksmittel.
Die "Schutzengel-Sonate", mit dem der Zyklus schließt, ist ein Variationen-Stück für Solo-Violine, eine Passacaglia, die Letzbor selbst in den lebhaftesten Momenten als Andacht gestaltet - eine Art vertrauensvoller "Tanz der Lebens" durch alle Höhen und Tiefen, Freuden wie Leiden - im Wissen darum, dass dieses Leben allzeit getragen und behütet ist von etwas Größerem - dieses Größere schwingt und tönt nach im Raum. Und im Hörer.
Georg Henkel
Besetzung
Ars Antiqua Austria
Erich Traxler, Orgel
Jan Krigovsky, Violone
Hubert Hoffmann, Theorbe
Salzburger Lauten Continuo
Hubert Hoffmann, Laute
Lee Santana, Chitarra attiorbata
Daniel Oman, Colachone
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |