Reviews
Deliverance
Info
Musikrichtung:
Elektronische Musik / Avantgarde / Experimental
VÖ: 15.05.2019 (Louder than war) Gesamtspielzeit: 53:26 Internet: https://www.danielledepicciotto.com/ https://de.wikipedia.org/wiki/Danielle_de_Picciotto |
Die gebürtige Amerikanerin Danielle de Picctto ist seit 1989 Wahlberlinerin und tief in der deutschen Musikszene in und um Berlin verwurzelt. Ihr erstes Projekt in Deutschland war die erfolgreiche Planung und Umsetzung der ersten Berliner Loveparade zusammen mit ihrem damaligen Freund Dr. Motte. Seitdem hat sie eine Vielzahl an eigenen musikalischen Projekten und Zusammenarbeit mit anderen Künstlern wie Gudrun Gut oder aber auch Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten produziert. Mit letzterem ist sie seit 2006 verheiratet und beide als Künstlerpaar aktiv und unterwegs.
Ihr neues Soloalbum Deliverance ist, soviel vorweg, ein Meisterwerk geworden. Im Gegensatz zum letzten Soloalbum Tacoma ist es weniger eine Sammlung unterschiedlicher Songs, sondern schon eine Art Konzeptalbum. Das überwiegend elektronisch aufgenommene Werk arbeitet mit dunklen und melancholischen, schwebenden Soundwänden oder Melodiebögen über die häufig Geräusche oder andere Instrumente gelegt werden. Über diese spannenden Soundscapes singt Danielle nicht, sondern referiert ihre inhaltsschweren Texte, die sich über den Menschen, seine Rolle in der Welt, das Schicksal und wie irgendwie doch wieder alles zusammengehört, drehen. Diese sind in Englisch oder Deutsch verfasst, meistens verschachtelt und etwas kryptisch, manchmal aber auch sehr eindeutig.
Das Titelstück zum Beispiel besteht aus knisternder Elektronik, einer sehr einprägenden, sich ständig wiederholenden Gitarrenspur und einer sehnsuchtsvollen Violine. Über diesen melancholischen Soundscape hinterfragt Danielle den Sinn des Lebens, der Endlichkeit, wozu Unendlichkeit gut sein könnte. Sie wählt Metaphern wie eine Frau, die eine Zigarette neben dem Benzinkanister raucht und wirft die Frage nach dem Sinn des großen Ganzen auf.
Das folgende “Dancing in the rain“ ist etwas fröhlicher gestimmt, aber eigentlich genauso aufgebaut. Elektronische Geräusche, gesamplete Klänge von Wellenrauschen, ein zart beschwingt pumpender Bass, Glockenklänge und eine fast euphorische Geige bilden ein kleines Popstückchen, über das Danielle auch engelsgleich singt.
“My Secret Garden“ arbeitet wieder mit einem zerbrechlichen Mix aus elektronischen Field-Recordings und einer sehnsuchtsvollen Violine. Viel intensiver kann Musik nicht sein, die Traurigkeit und Zerbrechlichkeit ist körperlich spürbar. “Spring“ ist neben “Die Wüste meiner Seele“ sicher das Kernstück des Albums. Das Konzept bleibt ähnlich – langsam bauen sich Strukturen über elektronisch erzeugte Geräusche auf. Eine gezupfte Gitarre und eine melancholische Violine bauen das Ganze zu einem dunklen, etwas unheilvollem Sound auf. Darüber spricht Danielle über eine futuristische Welt voller Elektronik und dafür mit wenig Gefühl und Menschlichkeit. Oder ist es doch die Realität, über die sie hier spricht. Das ist das starke an den Texten, dass sie unglaublich viele Fakten aneinanderreiht und trotzdem unglaublich viel Interpretationsmöglichkeiten lässt.
Hierbei lässt sie auch Dinge wie Social-Media und wie diese zur Volksruhigstellung eingesetzt werden können und werden. Fakt bleibt das hier eine unheilvolle Beschreibung des aktuellen und kommenden Zeitalters geschildert wird, die wieder mit der Musik umspielt greifbar ist. “Sehnsucht“ ist selbiges geschrieben in einer unglaublich feinsinnigen Melodie geformt aus gesampleten Klängen, Harfentönen, etwas das wie eine elektronische Trompete klingt, einer sehnsüchtig verzerrten Gitarre und einem ergreifenden Bass. Danach kommt das eben bereits erwähnte zweite Kernstück “Die Wüste meiner Seele“ das genauso wie “Spring“ funktioniert. Dieses Mal reiht der Text zunächst scheinbar unzusammenhängende Fragmente aneinder, dann Worte, die dann wieder von schwergewichtigen zum Thema Klima und Krieg abgelöst werden. So entsteht ein berührendes, zum Nachdenken anregendes Stück.
Deliverance ist ein traumhaftes und nachdenkliches Meisterwerk geworden. Freunden der experimentelleren Werke der Legendary Pink Dots oder Edward Kaspels sollte dieses Album auf jedem Fall gefallen. Aber neben viel künstlerischen Anspruch steckt hier vor allem auch viel emotionale Musik drin, die vielen ans herz gehen sollte. Leider ist das limitierte Vinylalbum inzwischen vermutlich ausverkauft (letzter Stand Mitte Juni waren 11 verbliebene Exemplare), demenstsprechend empfehle ich den Download über Bandcamp.
Wolfgang Kabsch
Trackliste
1 | Et Arripuerit | 5:23 |
2 | Hail | 5:25 |
3 | Dark Butterfly | 6:23 |
4 | Deliverance | 5:59 |
5 | Dancing In The Rain | 4:12 |
6 | My Secret Garden | 3:52 |
7 | Spring | 13:13 |
8 | Sehnsucht | 5:07 |
9 | Die Wüste Meiner Seele | 8:02 |
10 | Survivors | 3:52 |
Besetzung
Technik, Bass: Alexander Hacke
Instrumente, Komposition, Elektronik, Cover: Danielle De Picciotto
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |