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Marketa Lazarová (Soundtrack)
Info
Musikrichtung:
Soundtrack / Oratorium
VÖ: 01.01.2019 (Animal Music / Note 1/ 2 CD / DDD / 2018 / ANI 071-2) Gesamtspielzeit: 88:00 |
MONUMENTALES SOUNDTRACK-FRESKO
Die sechziger Jahre waren das goldene Zeitalter des tschechoslowakischen Films. Bereits seit den 50er Jahren hatten sich die Filmschaffenden langsam von der stalinistischen Kulturpolitik emanzipiert und nutzten die neuen Freiräume, in denen ein breites Spektrum origineller und unverbrauchter Filme entstand. Eine herausragende Arbeit dieser Periode ist der von František Vlácil gedrehte Film Marketa Lazarova. Ein ebenso grimmiger wie düsterer, mitunter filmisch und narrativ regelrecht irrlichtender Trip über Feudalismus, Christentum und Paganismus, der im 13. Jahrhundert im Grenzgebiet zwischen Sachsen und Böhmen spielt. Der Film beeindruckt nicht nur durch seine wunderschöne Schwarzweiß-Fotographie, sondern auch durch die von Zdenek Liška geschaffene Musik, die eng mit den Bildern verwobenen ist.
Der 1922 in Böhmen geborene Liška war schon zum Zeitpunkt des Filmes ein ebenso profilierter wie abenteuerlustiger und für oftmals ungewöhnliche Instrumental-Kombinationen bekannter Komponist. Wie auch in anderen europäischen Ländern, z. B. Italien, waren ambitionierte Filme und profanes Genre-Kino auch in der Tschechoslowakei ein ideales Feld für Komponisten, um abseits der Limitierungen eines Konzertbetriebes in verschiedenen Stilen zu experimentieren.
Offenbar haben Masterbänder des „Marketa“-Soundtracks nicht überlebt und der originale Score ist nur noch auf den Tonspuren der Filme erhalten. Der offensichtliche Verlust eröffnete aber auch die Chance zu einem außergewöhnlichen Projekt. Der tschechische Musiker und Komponist Petr Ostrouchov arrangierte, basierend auf dem Film und Liškas über dreihundertseitigem „Musikalischen Manuskript“, ein abendfüllendes Oratorium für Chor, 18-köpfiges Orchester, Solo-Sänger und Schauspiel. Im Rahmen des Festivals Struny Podzimu (Strings of Autumn) wurde Liškas Soundtrack 2015 in Prag erstmalig aufgeführt.
In der Musik, die sich nicht direkt an mittelalterliche Formen anlehnt, treffen Chöre, gesprochene Texte, ausdrucksstarke Soli (häufig im Geiste der 60er Jahre Avantgarde) und orchestrale Musik aufeinander. Wird die Musik dann doch "neo-mittelalterlich", kann auch schon mal ein funkige Hammondorgel für eine ebenso ungewöhnliche wie effektive Brechung sorgen.
Bei der herausfordernden Aufgabe, dieses gleichermaßen monumentale wie komplexe Werk live aufzuführen, lag der Focus weniger auf einer individuellen Interpretation. Vielmehr ging es darum, die im Werk angelegte Expressivität voll zur Entfaltung zu bringen und den vielen Leitmotiven, Schlussnummern sowie den brodelnden Backround-Sequenzen der Filmmusik durch die live eingesprochenen Passagen aus dem Film eine zusätzliche Dynamik und Dramatik zu verleihen.
Dadurch gelang der konzertanten Aufführung (bei der der Rezensent gerne dabei gewesen wäre) sowie der nun vorliegenden CD auf Ostrouchovs eignem Label „Animal Music“ genau das was auch im Film erreicht wird: Ein düster schillerndes, archaisch-modernes Klang-Fresko zu erschaffen.
Der Film „Marketa Lazarová“ ist seit 2017 in wie immer exzellenter Qualität bei dem Label „Bildstörung“ als Blu-ray erhältlich.
Benedikt Henkel
Besetzung
Martinu Voices - Lukás Vasilek
Baborák Ensemble & Radek Baborák
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |