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Reviews

Tengger Cavalry

Cian Bi


Info

Musikrichtung: Mongolian Folk Metal

VÖ: 23.02.2018

(Napalm)

Gesamtspielzeit: 43:58

Internet:

http://www.napalmrecords.com
http://www.tengger-cavalry.com

Tengger Cavalry stellen zweifellos die Pioniere des Mongolian Folk Metal dar, wobei der Plural in diesem Kontext nur bedingt gerechtfertigt ist, handelt es sich doch um eine Art Soloprojekt von Nature Ganganbaigal, der die ersten Alben ab 2010 komplett im Alleingang einspielte und später mit häufig wechselnden Besetzungen arbeitete, deren Mitglieder dann nach ihrem Ausscheiden oder noch während ihrer Mitgliedschaft andere Bands gründeten oder sich in solchen engagierten – Drummer Ding Kai beispielweise könnte der eine oder andere Interessent von Nine Treasures her kennen, die es zwischenzeitlich immerhin zu etlichen Auftritten in Mitteleuropa gebracht haben (siehe Livereview vom 27.06.2017 aus Jena). Natures Weg hingegen führte von Peking, wo er anfangs aktiv war, nach New York, und so gehören zu den jüngeren Besetzungen auch Musiker ohne chinesischen Background.
Wer sich über Peking und „chinesisch“ im Kontext mit der Stilbeschreibung Mongolian Folk Metal wundert, dem sei zur Erklärung kurz ausgeführt, dass der heutige Staat Mongolei nur einen Teil der geographischen Mongolei umfaßt – der andere Teil gehört zu China und bildet dort eine eigene Provinz mit mancherlei ethnischen wie wirtschaftlichen Problemen, so dass ein Bevölkerungsexodus in die Industriemetropolen des Landes herrscht und Natures Homebase zur Bandgründungszeit eben die chinesische Hauptstadt Peking war. Seinen kulturellen Wurzeln aber ist der Mann in vielerlei Hinsicht treu geblieben, schon der Bandname drückt mit dem mongolischen Wort für den Herrscher des Himmels und einem englischen Wort die Verbindung zweier Kulturkreise und damit zugleich die trotz der räumlichen Distanz erhalten gebliebene Bindung des Künstlers an die Heimat seiner Vorfahren aus. Nature hatte offenbar eine Menge Zeit für seine künstlerische Arbeit: Seit Bandgründung 2010 ist eine ganze Latte an Alben erschienen – Cian Bi stellt bereits die vierzehnte (!) reguläre Studioscheibe dar, EPs, Live- oder Splitscheiben sowie Singles gar nicht erst gezählt. Das Gros dieser Werke dürfte zumindest in physischer Form in Mitteleuropa aber eher schwer aufzutreiben sein, wenngleich es im Zeitalter der weltweiten Vernetzung natürlich kein Problem darstellt, zumindest in Dateiform an so manches Klangzeugnis heranzukommen und sich beispielsweise ein Bild zu verschaffen, wie die 2017 erschienene mongolische Folkmetal-Version von Metallicas „Master Of Puppets“ klingt. Zu beachten ist dabei, dass neue Besetzungen oftmals Neueinspielungen alter Songs vornahmen, so dass es von manchen Songs eine ganze Latte an Versionen gibt, was die genannte Zahl 14 zumindest ein klein wenig relativiert (aber nur ein klein wenig).
Die grundsätzliche Herangehensweise der Eigenkompositionen ist jeweils ähnlich: Eine klassische Metal-Rhythmusgruppe, gelegentlich ergänzt durch ethnische Percussion, liegt unter einer ebenso klassischen Metal-Rhythmusgitarre, die zumindest auf Cian Bi recht kernig, etwas kalt und mit leichtem Thrash-Anklang abgemischt ist, während sie früher bisweilen latente Black-Sabbath-Vibes transportierte und etwas wärmer klang. Als Soloinstrument kommt die Gitarre eher selten zum Einsatz – diese Rolle übernehmen dann die mongolischen Saiteninstrumente, zu denen vom Kulturkreis her auch die kasachische Dombra gehört, und diese Instrumente erfüllen nicht nur Solorollen, sondern behängen auch die Rhythmusgitarren noch mit so mancherlei Melodiegirlanden, wobei der mitteleuropäische Hörer beachten muß, hier auch durchaus eigenständige Skalensysteme und Harmonievorstellungen vorzufinden. Die Zusammenfügung der in der Theorie eher gegensätzlich anmutenden Instrumentenfamilien ist auf Cian Bi jedenfalls in erstklassiger Weise gelungen – aus der „Lernphase“, was in diesem Kontext geht und was eher schwierig umzusetzen ist, sind Tengger Cavalry trotz aller Umbesetzungen natürlich längst heraus. Zu dem genannten, schon per se höchst originellen Unterbau tritt noch ein weiterer Faktor: Nature nimmt auch Elemente seiner neuen Heimat auf und fügt daher gelegentlich Klänge einer indianischen Flöte ein, die beispielsweise „Redefine“ ein zusätzliches eigenes Gepräge verleihen. Flöteninstrumente gibt es im mongolischen Kulturkreis natürlich auch, und da der amerikanische Kontinent bekanntermaßen von Asien aus über die Beringia-Landbrücke besiedelt worden ist, stellt die Möglichkeit eines diesbezüglichen Kulturtransfers selbstredend keine Überraschung dar, wenngleich die konkreten archäologischen Beweise wohl noch erbracht werden müssen und allenfalls kulturanthropologische oder musikwissenschaftliche Untersuchungen möglich sind, die für unseren Argumentationskontext außerhalb des Betrachtungsschirms liegen.
Soweit die instrumentale Komponente – behandelt werden muß aber natürlich auch der Gesang. Den übernimmt Nature auf der Scheibe offenbar komplett selbst, zieht in der vollen Bandbesetzung aber auch weitere Mitstreiter hinzu. Es dominiert der traditionelle mongolische Obertongesang – und der paßt auch in der hier verwendeten englischen Sprache so gut zum metallischen Unterbau, dass man jeder verzweifelt auf Sängersuche befindlichen Metalband raten möchte, diese Option ins Kalkül zu ziehen. Speziell die tiefen Lagen wirken derart bedrohlich, dass dagegen fast jeder Death-Metal-Brüller einpacken kann und fast jeder Gothic-Leider eine Lehrstunde bekommt, wie man Dunkelheit musikalisch umsetzen kann, wenngleich hier sozusagen ein kulturelles Mißverständnis vorliegt, da die Klangfarbe per se nichts mit dem transportierten Textgut zu tun hat und man mit dem Obertongesang auch problemlos von fröhlichen Umtrünken berichten kann. Nature ist zugleich klug genug, das Stilmittel nicht überzustrapazieren, sondern ihm weitere Stile zur Seite zu stellen, was dann etwa im Falle von „One Tribe, Beyond Any Nation“ einen hymnischen Refrain ergibt, der in ähnlicher Form auch von Iced Earth mit Matt Barlow am Mikrofon hätte umgesetzt werden können. Diese Stelle ist also eine der ersten, über die sich das die Beschäftigung mit Mongolian Folk Metal bisher ungeübte Ohr in das Material hineinarbeiten kann. In etwas kurioser Manier gelingt das auch über „Just Forgive“, das seltsamerweise einen leichten Touch gen Grunge aufweist, wenngleich natürlich mit den beschriebenen folkigen Stilmitteln – wer sich also vorstellen will, wie Pearl Jam oder Soundgarden klängen, würden sie aus der Inneren Mongolei stammen, der erhält hier Gedankenfutter. Zugleich macht dieser Song aber auch ein Grundproblem der Scheibe deutlich: Sie dauert mit 15 Songs nur knapp 44 Minuten, und man wird bei einigen Songs das Gefühl nicht los, als hätte die Grundidee durchaus noch weitere Betrachtung gelohnt – „Just Forgive“ ist eine dieser Nummern, die nach knapp zweieinhalb Minuten etwas unmotiviert endet, ohne dass damit schon alles gesagt erscheint. Außerdem gibt es keinen alles überstrahlenden Hit, mit dem man einen zur Hineinarbeitung geeigneten Anspieltip servieren könnte, so dass es dem Hörer nur übrigbleibt, sich von vorn nach hinten durchzuarbeiten. „And Darkness Continues“ stellt dabei ein Intro dar, das den Interessenten schon mal in die Harmonie- und Instrumentenwelt der Scheibe einführt, während der Metalaspekt dann erst an zweiter Position im Titeltrack Raum zu greifen beginnt und die Kombination dort gleich in erstklassiger Weise gelingt, so dass das chronologische Abhören eine durchaus erfolgversprechende Strategie darstellt. Da zudem das Klanggewand erfreulich transparent geschneidert wurde, sind einerseits die Folkinstrumente klar wahrnehmbar, ohne dass es der Scheibe aber an metallischer Power fehlen würde. Diese Balance ist live natürlich schwerer herstellbar, aber durchaus keine Unmöglichkeit, wie Nine Treasures 2017 in Jena bewiesen haben, und so bleibt die Hoffnung, vielleicht auch Tengger Cavalry (die 2015 mal Schlagzeilen gemacht haben sollen, als sie es schafften, die Carnegie Hall auszuverkaufen) oder weitere Bands dieser Stilistik, z.B. die gerade in den Startlöchern stehenden The HU, mal hierzulande erleben zu können. An alle, die sich dauernd über die stilistische Eindimensionalität im Metal und den damit einhergehenden mangelnden Ideenreichtum samt eines gewissen Gefühls, hier sei alles gesagt, beschweren: Cian Bi stellt einen schlagenden Gegenbeweis dar, wenngleich wie ausgeführt durchaus noch ein wenig Luft nach oben und das Meisterwerk dieser Stilistik daher vielleicht noch nicht geschrieben ist. Die Bandauflösung, die Nature kurz nach Erscheinen dieser Platte verkündete, hat er jedenfalls zwischenzeitlich wieder rückgängig gemacht und abermals eine (fast) komplett neue Besetzung zusammengetrommelt.



Roland Ludwig

Trackliste

1And Darkness Continues2:03
2Cian Bi (Fight Your Darkness)3:24
3Our Ancestors3:32
4Strength3:04
5Chasing My Horse2:45
6Electric Shaman2:40
7Ride Into Grave And Glory (War Horse II)4:12
8Redefine3:00
9A Drop Of The Blood, A Leap Of The Faith3:10
10The Old War3:23
11One Tribe, Beyond Any Nation2:57
12Just Forgive2:27
13One-Track Mind3:08
14You And I, Under The Same Sky3:04
15Sitting In Circle1:00

Besetzung

And Darkness Continues 2:03
Cian Bi (Fight Your Darkness) 3:24
Our Ancestors 3:32
Strength 3:04
Chasing My Horse 2:45
Electric Shaman 2:40
Ride Into Grave And Glory (War Horse II) 4:12
Redefine 3:00
A Drop Of The Blood, A Leap Of The Faith 3:10
The Old War 3:23
One Tribe, Beyond Any Nation 2:57
Just Forgive 2:27
One-Track Mind 3:08
You And I, Under The Same Sky 3:04
Sitting In Circle 1:00
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So bewerten wir:

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06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
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19 bis 20 Überflieger