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A Child of our Time. Oratorio in three parts (1939-41)
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ORATORISCHES MAHNMAL
Bach, Händel, englische Spätromantik, klassische Moderne und Spiritual. Sir Michal Tippetts (1905-1998) musikalische Sprache in seinem Oratorium A Child of Our Time mag man polystilistisch oder gar eklektisch nennen. Doch wird das Material zu einem so integren und zugleich originellen Ganzen zusammengeschmolzen, dass man zu keinem Moment den Eindruck hat, hier habe lediglich ein begabter Sammler und Arrangeur die Musikgeschichte geplündert.
Der Ton des Werks ist unverwechselbar „britisch“, selbst die Spirituals verwandeln sich in romantisch überhöhte Händelsche Chorpracht. Die moderat moderne Tonsprache bereitet keinerlei Verständnisprobleme, wirkt aber auch nicht abgeschmackt. Das verleiht der pazifistischen, die Schrecken von Krieg, Hass und Verfolgung und die Verantwortung des Einzelnen beschwörende Grundbotschaft des Werkes große Eindringlichkeit.
Unmittelbarer Auslöser für das Werk war die Reichsprogromnacht 1938. Tippett ließ sich vor allem durch die tragische Vorgeschichte inspirieren: Am 7. November 1938 hatte der siebzehnjährige Herschel Grynspan den deutschen Legationsrat von Rath erschossen. Grynspans Familie war mit tausenden anderer Juden in Deutschland von der Gestapo festgenommen und über die polnische Grenze deportiert worden. Die Verzweiflungstat des illegalen Flüchtlings nahmen die Nazis zum Anlass für ihr erstes großangelegtes Pogrom gegen die deutschen Juden.
Tippett reagierte auf die Ereignisse mit einem Libretto, das sich an die dreiteilig Grundstruktur von Händels Messias anlehnt: Während das „Argument“ aus großen, aber allgemeinen „Prophezeiungen“ besteht, zeichnet sich die „Narration“ eher durch Handlungselemente aus; im dritten Teil folgen „Kommentar und Urteil“. Ariose Partien wechseln ab mit großen Chören, die betrachtenden Charakter haben oder sich an die dramatischen „Volkschöre“ der Bachschen Passionen anlehnen. Tippett hat kein religiöses Werk geschrieben, sondern versucht, aus der besonderen historischen Situation das Allgemeinmenschliche und Allgemeingültige herauszuarbeiten. Sein Standpunkt ist der eines Nichtgläubigen und Pazifisten, seine Methode ist die der Psychoanalyse à la Jung mit ihren Archetypen.
Vor allem anderen berührt die Intensität der Musik, die hier eine authentische Darbietung unter der der Leitung des Komponisten erfährt. Die ursprünglich beim Label Collins Classics erschienen Aufnahme besticht durch ein sehr rundes, vollkommen ausgewogenes Klangbild, das die vorzüglichen Leistungen von Solisten, Chor und Orchester bestens zur Geltung kommen lässt.
Georg Henkel
Besetzung
Sarah Walker, Mezzo-Sopran
Jon Garrison, Tenor
John Cheek, Bass
City of Birmingham Symphony Chorus
City of Birmingham Symphony Orchestra
Ltg. Sir Michael Tippet
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |