Reviews
Une Symphonie imagninaire
Info
Musikrichtung:
Barock instrumental
VÖ: 28.04.2005 Deutsche Grammophon Archiv / Universal Classics SACD (AD 2003) / Best. Nr. 00289 477 5578 Gesamtspielzeit: 56:25 |
MINKOWSKI BLICKT ZURÜCK AUF RAMEAU
Avantgardist und Traditionalist: Bei Jean-Philippe Rameau offenbart sich die musikalische Zukunft in den Formen der Vergangenheit. Zur traditionellen Seite Rameaus gehörte auch, dass er sich von der seinerzeit ganz neuen Gattung der Sinfonie zwar durchaus anregen ließ, dieses Genre aber niemals durch eigene Kompositionen bereicherte. Bis auf wenige kammermusikalische Ausnahmen hat er all seine Instrumentalkunst in seine Opern investiert - seine Orchestermusik ist immer szenische Musik: programmatische Ouvertüren, unzählige Tänze, instrumentale Airs, atmosphärische Schlummer- und Unwetterszenen … Das Repertoire klingender Kulissen hat Rameau wie kaum ein anderer bereichert und zu selbstständigen, rein musikalischen Handlungsträgern weiterentwickelt.
Eine Auswahl dieser Stücke hat Marc Minkowski nun zu einer „imaginären Sinfonie“ zusammmengestellt, gleichsam als Antwort auf die Frage: „Was wäre, wenn …“. Herausgekommen ist ein musikalisches Album voller fantastischer Klangbilder, von denen man die meisten allerdings aus diversen Gesamteinspielungen oder vergleichbaren Zusammenstellungen kennt.
Der dynamische und malerische Charakter vieler Stücke verleugnet ihre Herkunft aus der Welt der Oper keineswegs. Die eröffnende Ouvertüre aus der heroischen Pastorale Zaïs z. B. inszeniert die Schöpfung der Elemente aus dem Chaos mit den Mitteln der sinfonischen Dichtung, deren „eigentliche“ Erfindung im 19. Jahrhundert Rameau hier gleichsam vorwegnimmt. Ein spektakuläres Stück, bei dem melodische Fragmente, von trockenen Trommelschlägen grundiert, nach und nach zur musikalischen Form finden, bis die Musik mit konzertantem Schwung durchs volle Orchester tobt.
Geradezu konstruktivistisch tönt es dagegen beim Vorspiel zum 5. Akt von Les Boreades und einem fugierten Ritornell aus Hippolyte et Aricie - musique pure sozusagen, die die harmonischen Theorien des Komponisten vollkommen in die Praxis überführt. Dass die Sinnlichkeit dabei keinesfalls zu kurz kommt, demonstriert die ergreifende Trauerszene aus Castor und Pollux. Hier hat Minkowski einfach die Gesangspartie weggelassen, so dass der raffinierte Einsatz von Subdominante und Fagott umso eindringlicher zur Geltung kommt. Dass auf dieser Aufnahme gänzlich auf Vokalmusik verzichtet wird, dürfte vor allem jenen Hörern entgegenkommen, die die französische Opernmusik nicht sonderlich schätzen.
Was gegenüber früheren Aufnahmen Minkowskis auffällt, ist der insgesamt weichere Ton und größere Zurückhaltung bei den sonst so geschätzten Extremen in Dynamik und Tempo. Der Zugriff ist sanglicher geworden, die Rhetorik sanfter. Inzwischen hat sich der Dirigent ein breites Repertoire jenseits des Barock erobert und ist mit konventionellen Orchestern weit in die Romantik vorgestoßen. Dass das nicht ohne Folgen für die barocken Meisterwerke bleibt, kann man auch bedauern. Die Ouvertüre zu „Zais“ wirkt bei Christophe Rousset trotz des dünneren Ensembleklangs elektrisierender. Und besagtes Vorspiel aus dem 5. Akt der Boreaden hat bei Minkowski ein enttäuschend flaches Profil, weil der Montage-Charakter der Musik durch zu gebundenes - „sinfonisches“ - Spiel verloren geht. Die über zwanzig Jahre alte Aufnahme von J. E. Gardiner trifft da den modernen Ton der Musik viel besser. Umgekehrt bekommt dafür das Air tendre pour les Muses genau jene sanfte bukolische Luft zum atmen, an der es in den älteren Aufnahmen Minkowski schon mal mangelte.
Georg Henkel
Trackliste
1 | Ouvertüre aus „Zaïs“ | 5:47 |
2 | Trauerszene aus „Castor und Pollux“ | 3:25 |
3 | Air Tendres aus „Les Fêtes d’Hébé“ | 1:53 |
4 | Tambourins aus „Dardanus“ | 1:51 |
5 | Air tendre pour les Muses aus „Le Temple de la Gloire“ | 4:25 |
6 | Contredanse aus „Les Boréades“ | 3:06 |
7 | Air gracieux aus „La Naissance d’Osiris“ | 2:19 |
8 | Gavottes aus „Les Boréades“ | 2:44 |
9 | Orage aus „Platée“ | 2:32 |
10 | Prelude aus „Les Boréades“ | 1:19 |
11 | La Poule (anonyme Transkription des gleichnamigen Cembalostücks) | 4:31 |
12 | Musette „Les Fêtes d’Hébé“ | 3:22 |
13 | Ritournelle aus „Hippolyte et Aricie“ | 2:09 |
14 | Rigaudons aus „Naïs“ | 2:22 |
15 | Danse des Sauvages aus „Les Indes galantes“ | 2:18 |
16 | Entrée de Polymnie aus „Les Boréades“ | 6:05 |
17 | Chaconne aus „Les Indes Galantes“ | 6:17 |
Besetzung
Ltg. Marc Minkowski
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |