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Reviews

Messiah Force

The Last Day


Info

Musikrichtung: Metal

VÖ: 16.06.2017

(No Remorse Records)

Gesamtspielzeit: 39:57

Internet:

http://www.noremorse.gr

Ein etwas entrückt wirkendes Klavier ertönt und läßt Erinnerungen an Jethro Tulls „Locomotive Breath“ aufkommen – aber nicht lange: Erst sorgt ein schwer beschreibbares Geräusch, das man in Science-Fiction-Filmen gern für akustische Schilderungen des leeren weiten Raumes verwendet, für weitere Verwirrung, und dann flitzt plötzlich erbarmungslos speediger Metal los, der nichtsdestotrotz immer kontrolliert, strukturiert und melodisch bleibt und durch ein furioses Gitarrensolo gekrönt wird. „The Sequel“ nennt sich der Opener von Messiah Forces The Last Day-Album und bildet, wie man nach knapp 40 Minuten feststellt, auch dessen qualitative Speerspitze. Das soll freilich nicht bedeuten, die anderen acht Songs wüßten nicht zu überzeugen – im Gegenteil: Auch unter ihnen findet sich noch so manche Perle der melodischen Geschwindigkeitsüberschreitung. Sechs derselben konnte der metallische Insider, der es tatsächlich geschafft hatte, 1987 an eines der wenigen Exemplare von The Last Day heranzukommen, theoretisch bereits kennen – sie waren im Jahr zuvor bereits als Demo veröffentlicht worden, wurden für das Album allerdings nochmal komplett neu eingespielt und um drei weitere Songs ergänzt: den Titeltrack, das nach etwas verschrobenem Beginn auch noch metallisch nach vorn powernde „Call From The Night“ und eben das erwähnte „The Sequel“, das man wohl mit Bedacht ganz nach vorn gestellt hatte, um gleich mächtig auftrumpfen zu können.
Zu ihrem großen Unglück nützte das den fünf Kanadiern nichts und ihre musikalische Klasse gleichfalls nicht. The Last Day wurde ungewollt der finale Tag für einen ihrer Haupttrümpfe, nämlich Sängerin Lynn Renaud, die bei etwas mehr Studiozeit (und wärmeren Temperaturen) vielleicht eine noch bessere Leistung hätte abliefern können und hier und da nicht ganz das Optimum ihrer großen stimmlichen Qualitäten erreicht, trotzdem aber im zeitlichen Kontext als eine ganz Große einzustufen ist. Wen gab es denn in den Mittachtzigern als Konkurrenz bei den Metal-Sängerinnen? Da war nicht viel (erwähne jetzt niemand Sabina Classen), zumindest nicht an wenigstens etwas populärer gewordenen Bands (dass im Untergrund trotzdem zahllose Combos mit weiblicher Frontstimme aktiv waren, steht auf einem anderen Blatt), und so behalfen sich viele damalige Rezensenten mit einem Warlock-Vergleich, ohne freilich zu beachten, dass erstens Lynn etwas rauher agierte als Doro Pesch, aber trotzdem melodisch meist recht treffsicher blieb, andererseits aber auch ihre vier Instrumentalisten ein bis zwei Härtegrade über den Warlock-Kollegen musizierten und, wenn man für diese Komponente einen Vergleich finden will, eher Helloween zu Walls Of Jericho-Zeiten oder noch früher geeignet wären. Interessantes Detail am Rande: In ihrer Frühzeit spielten Messiah Force auf Gigs üblicherweise zur Hälfte Eigenkompositionen und zur anderen Hälfte Coverversionen, unter denen sich neben Werken von Metal Church, Anthrax oder Metallica auch „Starlight“ und „Victim Of Fate“ aus dem Repertoire der Hamburger Kürbismetaller befanden. Arno Hofmann, der die Band im Lexikon „US Metal Vol. 2“ der Iron-Pages-Truppe vorstellte, schob denn auch den Warlock-Vergleich ins Reich der Märchen, zerrte aber einen anderen an den Haaren herbei: Acid – die passen zwar in der Tat besser als Warlock, agierten aber erstens ein gutes Stück rauher und ungeschliffener und besaßen zweitens speziell in der Gitarrenarbeit viel mehr Blues-, Rock’n’Roll- und Motörhead-Einflüsse, während Jean Tremblay und Bastien Deschenes, das Messiah-Force-Gitarristenduo, eindeutig im klassischen Metal verwurzelt war und seine Beeinflussung durch Tipton/Downing oder eben Hansen/Weikath weder verleugnen konnte noch wollte. Freilich kopierten die Kanadier ihre Vorbilder nicht einfach, sondern bauten etwa in den Titeltrack auch mal orientalisch anmutende Leadgitarrenlinien ein, und dann gab es ja da noch den erwähnten Originalitätsfaktor am Frontmikrofon.
Ebenjener ging Messiah Force im Anschluß an das Album allerdings verloren, und auch ansonsten kamen sie gemessen an ihren Fähigkeiten viel zu langsam vorwärts. The Last Day erschien zunächst als Eigenproduktion auf dem bandeigenen Label, bevor ein kleines britisches Indielabel namens Bold Reprive Records eine Lizenzpressung mit verändertem Coverartwork herausbrachte und es nicht dabei beließ, sondern auch gleich noch The Sequel als 7‘‘- und 12‘‘-Single veröffentlichte, ohne die Band davon zu informieren, die erst viele Jahre später zufällig von der Existenz dieser Tonträger erfuhr, welche allerdings auf den B-Seiten kein exklusives Material, sondern nur reguläre Albumsongs enthielten. Verhandlungen mit Black Dragon Records, die in den Spätachtzigern einen exzellenten Geschmack besaßen (man erinnere sich etwa an Heir Apparent), führten zu nichts, und zugleich bekam Lynn Stimmprobleme und mußte daher die Gesangsaktivitäten an den Nagel hängen. Messiah Force versuchten 1990 mit Mikrofon-Neuzugang Denis Dufour einen weiteren Anlauf und spielten ein Drei-Track-Demo namens No Hideaway ein, aber auch mit diesem kamen sie keinen Schritt vorwärts, zumal die Zeiten für traditionellen Metal in den Frühneunzigern sowieso problematisch waren und selbiger von weiten Kreisen angesichts der Grunge-Dominanz gerne totgesagt wurde. Ergo stellte das kanadische Quintett kurze Zeit später seine Aktivitäten ein, hat sich bisher auch nicht wiedervereinigt und musiziert nur noch im privaten Rahmen zu ausgewählten Gelegenheiten, etwa zu Geburtstagsfeiern der einstigen Mitglieder.

Die griechischen Spürnasen von No Remorse Records, von Snakepit-Chef Laurent Ramadier anhand eines 2015er Interviews auf die richtige Spur gebracht, legen nun auf einer Doppel-CD das musikalische Gesamtwerk von Messiah Force vor. CD 1 enthält dabei die neun Songs von The Last Day aus dem Jahr 1987, CD 2 zunächst die sieben des schlicht Demo 1986 betitelt gewesenen ersten Tapes und danach die drei der No Hideaway-Kassette von 1991. Die Reihenfolge ist also nicht ganz chronologisch, aber das macht nichts, denn auch in der Gegenüberstellung von offiziellem und semioffiziellem Material liegt ein sinnvolles Gestaltungsprinzip, und außerdem bekommt der potentielle Interessent die zumindest klanglich überzeugenderen Fassungen des Frühwerks zuerst zu Gehör. Ob man rein vom Musikalischen her die Demo- oder die Albumfassungen bevorzugt, dürfte wie üblich Geschmackssache sein. Grundsätzliche strukturelle Unterschiede gibt es nicht, aber bei den Albumaufnahmen hatte Lynn ihre Stimme etwas besser unter Kontrolle und konnte stärker mit ihren Fähigkeiten spielen, während beispielsweise Freunde des klassisch strukturierten Gitarrenduells in der Demoversion von „Silent Tyrant“ mehr auf ihre Kosten kommen, weil dort die Verteilung der beiden Gitarren auf die linke bzw. rechte Box stärker ausgeprägt ist. Den Weltraumsound, den Messiah Force auf dem Album als zweites Element von „The Sequel“ einführten, gibt es auf dem Demo übrigens auch schon zu hören, dort im Intro von „Silent Tyrant“, das – der Leser ahnt es – diesen Tonträger einleitete und heute folglich CD 2 eröffnet. „The Forgotten Emperor“ wurde als einziger der sieben Demotracks nicht auf das Album übertragen, was keine qualitativen Gründe gehabt haben kann – er ist kein ganz großes Highlight, reiht sich aber in die Riege der gutklassigen Werke der Kanadier problemlos ein und fügt ihnen mit dem midtempolastigen Strophenteil, der in einen galoppierenden Refrain mündet, sogar eine sonst eher selten gehörte Facette hinzu, bevor das Solo dann wieder mit flottem Speed unterlegt wird und an glorreiche alte Helloween-Zeiten erinnert. Lediglich der Refrain bleibt ein wenig zu einfallslos, aber den hätte man bei den Albumaufnahmen ja auch nochmal überarbeiten können. Sei’s drum – es ist nicht geschehen, und auf dem Album landete ja dann dessen Titeltrack, der sich gleichfalls eher in Midtempogefilden bewegt und mit seinen Wechseln gar noch einen leichten Progressive-Anstrich vortäuscht, der sich im Schaffen von Messiah Force sonst nicht fand, obwohl sie durchaus gern Tempi, Rhythmen und auch Stimmungen innerhalb ein und desselben Songs variierten und beim Album sogar so arbeiteten, dass sie nach den Aufnahmen jedes Songs auch schon den Mix erledigten, so dass jede Nummer ein klein wenig anders klingt. „The Third One“, sowohl auf dem Demo als auch auf dem Album den Closer markierend, täuscht mit seinem langen Akustik- und dann Doomintro gar eine Ballade oder eine epischere Nummer an, aber der Hauptteil flitzt dann nach knapp anderthalb Minuten wieder in gewohnter Weise los und macht klar, welchem Stil die Liebe der Band in dieser frühen Schaffensperiode galt.
Das änderte sich dann 1991 zumindest ansatzweise. „No Hideaway“, mit über sechs Minuten der längste Track im Schaffen von Messiah Force, bietet zunächst lange Zeit schleppenden Power Metal im Stil der frühen Metal Church, und den alles niederreitenden mitreißenden Speed hatten die Kanadier bis auf einige Reminiszenzen in den Archiven gelassen – sie blieben Traditionalisten, aber ihr Power Metal klang nun viel geerdeter und kontrollierter, und Denis Dufour besaß eine zweifellos gute Stimme in mittlerer, etwas angerauhter Tonlage, aber die Originalität, die Messiah Force mit Lynn Renaud besaßen, war mit ihm natürlich weg. Das klingt jetzt alles negativer, als es ist – die drei Songs bieten durchaus starken Metal, und gerade in „No Hideaway“ würde man sich nicht wundern, wenn irgendwann während der ersten zwei Minuten plötzlich David Wayne zu singen beginnen würde. Zudem bemerkt man natürlich den tontechnischen Fortschritt während des halben Jahrzehntes zwischen den beiden Demoaufnahmen: Die 1991er Songs sind die mit Abstand am saubersten klingenden der Bandgeschichte, und nur das einen Tick zu klinisch abgemischte Schlagzeug trübt den Eindruck ein ganz klein wenig. „Get Away“ greift die orientalischen Anklänge in einigen Gitarrenlicks wieder auf, und generell könnte Metallicas Schwarze ein paar Spuren in den kompositorischen Hirnen der Bandmitglieder hinterlassen haben, wenngleich abermals gilt, dass Messiah Force keineswegs als Kopisten zu brandmarken sind.
Der Doppeldecker enthält als Liner Notes das erwähnte 2015er Snakepit-Interview, alle Texte (bis auf „The Forgotten Emperor“), anhand derer klar wird, dass eine Einsortierung ins christliche Lager, die anhand des Bandnamens durchaus möglich wäre, lyrisch zumindest keine eindeutig-kämpferische Begründung im Sinne etwa Strypers erfährt, sowie zahlreiche historische Fotos, ist also diesbezüglich vorbildlich aufgemacht und sichert Messiah Force damit den Platz in der Geschichte des Metal, den sie anhand ihres Könnens zweifellos verdient hätten, aber aufgrund der üblichen Unwägbarkeiten der Szeneentwicklung nie einnehmen konnten.



Roland Ludwig

Trackliste

CD 1
1 The Sequel (4:47)
2 Call From The Night (4:00)
3 Watch Out (3:05)
4 White Night (5:40)
5 Spirit Killer (3:09)
6 Silent Tyrant (4:00)
7 Hero's Saga (4:38)
8 The Last Day (5:14)
9 The Third One (5:24)

CD 2
1 Silent Tyrant (4:09)
2 Hero's Saga (4:32)
3 White Night (5:12)
4 Watch Out (3:06)
5 The Forgotten Emperor (3:45)
6 Spirit Killer (3:07)
7 The Third One (5:00)
8 No Hideaway (6:15)
9 Get Away (4:07)
10 Lesson For A Liar (4:56)

Besetzung

Lynn Renaud (Voc)
Denis Dufour (Voc: CD 2, 8-10)
Jean Tremblay (Git)
Bastien Deschenes (Git)
Eric Parise (B)
Jean-Francois Boucher (Dr)
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