Reviews
La Venezia di Anna Maria
Info
Musikrichtung:
Barock
VÖ: 27.04.2018 (Berlin Classics / Edel / 2 CD / 2017 / Best. Nr. 0301052BC) Gesamtspielzeit: 82:43 Internet: Midori Seiler Concerto Köln |
HINTER GITTERN
Muse Vivaldis, Virtuosin mit engelsgleichem Spiel, Maestra, Touristenmagnet: Man kann der Geigerin Anna Maria aus dem venezianischen Waisenhaus „Ospedale della Pietà“ viele Namen beigeben. Der einfachste und treffendste bleibt aber der, unter dem sie in die Musikgeschichte eingegangen ist: Anna Maria dal Violin. Ihr Geigenspiel machte sie Anfang des 18. Jahrhunderts weit über Venedigs Grenzen hinaus berühmt. Nun muss man sich unter Anna Maria kein Wunderkind vorstellen, sondern eine sehr begabte Frau, die – nicht ungewöhnlich damals – ihr Leben lang im Waisenhaus blieb, in dem sie als Findelkind aufgewachsen war. Diese Waisenhäuser waren nicht nur eine soziale, sondern auch eine ökonomische und kulturelle Institution in der Lagunenstadt. Ihre bestens ausgebildeten Instrumentalistinnen und Sängerinnen machten es für die großen Komponisten attraktiv, an den Ospedali zu unterrichten oder für sie zu schreiben. Im Gegensatz zu ihnen blieben die ausführenden Musikerinnen weitgehend namen- und gesichtslos: Zwar galt für sie eine Ausnahme vom damals geltenden Musizierverbot für Frauen in Kirchenräumen, dies aber um den Preis, dass sie durch ein eisernes, stoffbespanntes Gitter vom Publikum getrennt zu spielen hatten.
So wissen wir bis heute wenig von Anna Maria. Überliefert ist aber eines ihrer Spielbücher, in dem sie 31 Konzerte notiert hat, darunter viele aus Vivaldis Feder. Das Besondere daran ist, dass die Virtuosin nicht nur ihren Notentext notierte, sondern auch die von ihr vorgesehene Ornamentierung. Und diese ist nicht nur extrem anspruchsvoll, sondern auch höchst delikat, bisweilen extravagant und dissonant, also alles andere als schüchtern zurückhaltend. Selbst heute noch überrascht so manche der Wendungen, etwa im spannungsreichen, expressiven Konzert RV 248.
Die Geigerin Midori Seiler hat insgesamt eine hervorragende Auswahl von vier dieser „Concerti per Anna Maria“ getroffen. Concerto Köln hat sich dabei für eine klangfarblich reiche Besetzung im Orchester entschieden, was den Werken gut zu Gesicht steht und zusätzlich für Abwechslung sorgt. Solistin und Orchester spielen sich die musikalischen Bälle mit stupender Souveränität zu, vor allem aber mit mitreißender Spielfreude. Die Musik blüht so gänzlich unangestrengt opulent auf. Das gilt gleichermaßen für die beiden Konzerte RV 120 und 140, sowie für die zwei Concerti von Galuppi und Albinoni, die ebenfalls als Komponisten für die Ospedali tätig waren, in punkto Originalität und Esprit den Vivaldi-Stücken aber dann doch nicht das Wasser reichen können.
Angesichts der hohen Qualität der Einspielung, die auch tontechnisch und in der Aufmachung zu überzeugen vermag, ist einzig bedauerlich, dass man die Spielzeit der zwei CDs nicht besser ausgenutzt hat.
Sven Kerkhoff
Trackliste
1-3 Vivaldi: Concerto c-moll RV 120
4-6 Vivaldi: Violinkonzert Es-Dur RV 260
7-9 Galuppi: Concerto a quattro Nr. 1 g-moll
10-12 Vivaldi: Violinkonzert G-Dur RV 308
CD II
1-3 Vivaldi: Konzert A-Dur RV 158
4-6 Vivaldi: Violinkonzert E-Dur RV 270a
7-9 Vivaldi: Sinfonia F-Dur RV 140
10-12 Albinoni: Concerto a Cinque op. 10 Nr. 1 B-Dur
13-15 Vivaldi: Violinkonzert d-moll RV 248
Besetzung
Concerto Köln
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |