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Parthenia
Info
Musikrichtung:
Alte Musik
VÖ: 2016 (Sono Luminus) Gesamtspielzeit: 52:51 Internet: http://www.alina-rotaru.de http://www.sonoluminus.com |
Die aus Rumänien stammende, knapp zwei Jahrzehnte in Norddeutschland aktiv gewesene und mittlerweile in Litauen lebende Cembalistin Alina Rotaru hatte mit ihren ersten beiden Soloalben sowohl beim Rezensenten (nachzulesen auf www.crossover-agm.de) als auch bei der MAS-Kollegenschaft hoch punkten können und die Erwartungshaltung für das dritte Album daher durchaus in beträchtliche Höhe geschraubt. Aber um es vorwegzunehmen: Sie kommt auch diesmal nie in Gefahr, diese Erwartungshaltungen etwa zu unterlaufen.
Von der Struktur her unterscheidet sich die neue CD grundlegend von den beiden ersten. Hatten diese sich jeweils einem Komponisten (Froberger bzw. Sweelinck) gewidmet und eine Zusammenstellung aus verschiedenen Einzelwerken der beiden geboten, so finden sich auf der neuen Scheibe Werke von William Byrd, John Bull und Orlando Gibbons, die im Original aber in ein und demselben Notenband veröffentlicht wurden. Dieser lieh der CD auch den Titel: Parthenia, herausgegeben vom Notendrucker William Hole, erschien erstmals 1612/13 und war original als Hochzeitsgeschenk für die englische Prinzessin Elizabeth Stuart gedacht, die am 14. Februar 1613 den deutschen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz heiratete. Kaum war das Paar aus England abgereist, organisierte der findige Hole weitere Auflagen, diesmal ohne die Widmung an die Adligen, sondern „allen Meister und Liebhabern der Musik“ zugeeignet. Damit sicherte er sich einen enormen Zuspruch, denn der originale Background der Veröffentlichung dürfte durchaus bekannt gewesen sein, und wer wollte nicht schon immer mal ausprobieren, ob er sich in bestimmten Disziplinen mit einem Mitglied der königlichen Familie messen konnte? Die Aufgabe freilich war enorm schwer: Elizabeth galt als exzellente Tasteninstrumentspielerin, aber da sie ja dann ab Frühjahr 1613 nicht mehr auf der Insel war, wäre nie jemand in die Verlegenheit geraten, sich real mit ihr messen zu müssen. So gewann die Parthenia-Sammlung große Popularität, die noch durch einen weiteren Umstand begünstigt wurde: Es war der erste englische Notendruck für Tasteninstrumente, und da der Bedarf offensichtlich vorhanden war, kam es im folgenden halben Jahrhundert zu einer erklecklichen Zahl Neuauflagen, was zugleich die Chance erhöht hat, daß Exemplare bis in die Jetztzeit überlebten. Und siehe da: Derzeit sind der Forschung 15 Exemplare bekannt, davon interessanterweise genau eins der Erstauflage mit der royalen Widmung, während die anderen vierzehn den umgewidmeten späteren Auflagen angehören.
Parthenia besteht aus 21 Stücken (und zwar in beiden Auflagentypen – die königliche Erstauflage war also nicht etwa mit einem „Bonustrack“ ausgestattet) von den drei oben bereits erwähnten Komponisten, die zur fraglichen Zeit alle noch am Leben und Schaffen waren und alle drei kurz nacheinander im folgenden Jahrzehnt starben. Zu Lebzeiten genossen sie einiges an Popularität und waren fest im musikalischen Leben Englands verankert; bei Bull trat der Umstand hinzu, daß er als Lehrer Elizabeths arbeitete. Byrd steuerte acht Stücke zur Sammlung bei, Bull sieben und Gibbons sechs, die auf der CD auch in entsprechender Ordnung erklingen. Innerhalb der jeweiligen Blöcke gibt es allerdings weitere Strukturen. Seinerzeit war es üblich, einen langsamen und einen schnellen Tanzsatz über das gleiche Thema bzw. Motiv aneinanderzureihen, beginnend mit einer langsamen Pavane und endend als schnelle Gaillarde. Solche Satzpaare gibt es in dem Material gleich mehrfach, und der Hörer kann hier perfekt die Kunst der Komponisten studieren, ein und denselben Einfall auf völlig unterschiedliche Weise umzusetzen. Bisweilen handelte es sich um eigenkreierte Themen, aber man verwendete auch feststehende Grundschemata oder aber Motive aus anderen, zumeist populären Kompositionen. Für all diese Herangehensweisen finden sich Beispiele in Holes Sammlung, so daß die CD neben dem Hörgenuß auch noch pädagogische Möglichkeiten der Wissensvermittlung über die Musikpraxis des frühen 17. Jahrhunderts in England offeriert.
Freilich wäre all diese Theorie zu nichts nütze, würde Alina Rotarus Spiel nicht überzeugen. Zum Glück gibt es auch in dieser Hinsicht keine Abstriche zu machen. Wer die Künstlerin kennt, weiß, daß sie reiche Hörerfahrungen in modernen Genres der düsteren Musik besitzt, und schon auf den bisherigen Solo-CDs war sie in beeindruckender Weise in der Lage, diese zur Gestaltung ihres Spiels heranzuziehen, so daß ihr besonders die düsteren Passagen bzw. Kompositionen besonders eindrucksvoll gelangen. Das ist auf Parthenia grundsätzlich nicht anders, selbst wenn man bedenken muß, daß es hier um ein Hochzeitsgeschenk geht, dessen Hauptziel natürlich nicht die musikalische Umsetzung von Trauer war. Aber wenn man mal Bulls Pavane über „St. Thomas Wake“ hernimmt, dann gibt diese ein prächtiges Beispiel für ebenjene Fähigkeit Rotarus, schwermütig zu spielen, ab, und das Beziehungsgeflecht zur nachfolgenden Gaillarde über das gleiche Thema ermöglicht es, auch diesen schnellen Satz mit einer gewissen schweren Grundierung zu versehen. Solche Feinheiten muß man gerade als Cembalist, konfrontiert mit den überschaubaren dynamischen Ausdrucksmöglichkeiten dieses Instruments, erstmal hinbekommen, und der aufmerksame Hörer wird sich an solchen Details begeistern können. Aber Rotaru macht solche Einlassungen nicht zum Selbstzweck: Byrds eröffnendes Preludium in C nimmt sie zwar würdevoll, aber eben auch mit der gebotenen Festlichkeit als Vorahnung für das, was kommt, und einfach nur fröhlich nach vorn losspielen kann sie, wenn es darauf ankommt, natürlich auch, ebenso wie quasi romantische Gefühle darzustellen, wofür Gibbons‘ wunderbares „The Queen’s Command“ ein Paradebeispiel abgibt (und die besagte Verbindung soll, unüblich für Herrschergeschlechter vergangener Jahrhunderte, tatsächlich eine Liebesheirat gewesen sein). Kuriosum am Rande: Das letzte Stück von Gibbons ist gleichfalls ein Preludium (in diesem Fall in G) – spätere Generationen hätten hier rein verbal wohl ein Postludium draus gemacht. Apropos spätere Generationen: Gibbons‘ Eröffnung der vierteiligen „Fantazia“ beinhaltet Tonkombinationen, die ein knappes Jahrhundert später ein gewisser Johann Sebastian Bach in ähnlicher Form in sein heute populärstes Werk, Toccata und Fuge d-Moll BWV 565, einbastelte (an den Diskussionen, ob die Komposition wirklich von ihm ist, wollen wir uns hier nicht beteiligen). Authentizitätsfanatiker wiederum könnten bemängeln, daß das von Alina Rotaru bespielte Cembalo strenggenommen ein Jahrhundert zu jung ist – es handelt sich um einen 1995 von Thomas und Barbara Wolf gefertigten Nachbau eines 1738 von Christian Vater in Hannover gebauten Instruments. Aber der Rezensent ist nicht Instrumentenbauhistoriker genug, um einschätzen zu können, ob sich im Cembalobau während des zwischen Holes Publikation und Vaters Bau vergangenen Jahrhunderts entscheidende Neuerungen ergeben haben und, falls ja, in welchem Ausmaß diese Einfluß auf den Klang oder weitere Parameter wie Spieltechnik etc. hatten.
Festzuhalten bleibt also, daß es sich abermals um eine äußerst hörenswerte CD handelt, die zudem mit einem optisch geschickt historisierenden Artwork ausgestattet wurde. Wer die beiden ersten CDs von Alina Rotaru bereits zu schätzen wußte, dürfte diese dritte als willkommene Sammlungsbereicherung ansehen.
Roland Ludwig
Trackliste
1 Preludium [in C] (0:42)
2 Pavana: Sir William Petre (4:56)
3 Galiardo [Sir William Petre](1:51)
4 Preludium [in C] (1:02)
5 Galiardo: Mistress Mary Brownlo (2:43)
6 Pavana: The Earl of Salisbury (1:41)
7 Galiardo [The Earl of Salisbury](1:07)
8 Galiardo Secundo [The Earl of Salisbury] (1:58)
John Bull:
9 Preludium [in G] (0:50)
10 Pavana: St. Thomas Wake (2:53)
11 Galiardo: St. Thomas Wake (3:17)
12 Pavana [in G] (4:54)
13 Galiardo [to Pavana 12.] (1:44)
14 Galiardo [in D] (1:43)
15 Galiardo [in D] (1:29)
Orlando Gibbons:
16 Galiardo [in C] (2:29)
17 Fantazia of four parts (5:58)
18 The Lord of Salisbury his Pavin(5:57)
19 Galiardo [The Earl of Salisbury] (2:18)
20 The Queen’s Command (1:33)
21 Preludium [in G] (1:33)
Besetzung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |