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Sinfonie Nr. 6 "Pathetique"
Info
Musikrichtung:
Romantik Orchester
VÖ: 27.10.2017 (Sony Classical / Sony / CD / DDD / 2016 / Best. Nr. 88985404352) Gesamtspielzeit: 47:00 |
SEELENLANDSCHAFT
Der Dirigent Teodor Currentzis legt nach einer polarisierenden Einspielung von Tschaikowskys Violinkonzert mit Patricia Kopatchinskaja nun auch dessen 6. Sinfonie Pathetique vor. Anders als bei Mozarts Da-Ponte-Opern, bei der die Extremisierungen Currentzis rasch zur Hörer- und Materialermüdungen führen können, scheint ein subjektiver romantischer Ausdrucksmusiker wie Tschaikowsky mehr vom Geiste Currentzis zu sein. Hier begegnen sich gleichsam zwei romantische Seelen und es ist vielleicht kein Zufall, dass auch Currentzis Begleittext sich einmal nicht wie sonst oft in mystifizierenden Andeutungen erschöpft, sondern als echte, wenngleich eben sehr persönliche Einführung in das eingespielte Werk taugt.
Der durch und durch subjektiven Musik Tschaikowskys, der ein vom Komponisten als "geheim" bezeichnetes Programm zugrunde liegt, entspricht die durch und durch subjektive Interpretation von Teodor Currentzis und dem über alle Zweifel erhabenen MusicAeterna Orchestra, das seinem Maestro bedingungslos folgt und in punkto Brillanz, Durchhörbarkeit, Virtuosität und Farbigkeit keine Wünsche offen lässt. Dass die Aufnahme so hervorragende klingt, ist freilich auch das Verdienst der beteiligten Tontechniker.
Das große Panorama des 1. Satzes mit seinen dualistischen Klang- und Ausdruckstendenzen gestaltet Currentzis wie ein großes Schlachtengemälde, das gleichsam sukzessive musikalisch abgebildet wird; der aus den Lautsprecherboxen hervorbrechende gewaltige Orchesterschlag, der auf das sechsfache, schattenhafte Pianissimo des Fagotts folgt, umreisst vielleicht am eindrücklichsten die Bandbreite der dramatisch-musikalischen Entfesselungskünste Currentzis, die man plakativ der grandios finden kann. Deutlich wird in jedem Fall: Es geht ums Ganze, um Essentielles, nicht um interpretatorische Selbstverliebtheit. Currentzis erweist sich als ein- und miftühlend, ohne die komponierte Struktur bzw. Architektur je aus den Augen zu verlieren. Hinter aller subjektiven Aufladung bleibt immer auch eine objektivierende, durchdachte Komposition erkennbar.
Die Walzerseligkeiten des 2. Satzes gestaltet Currentzis ebenso hin- wie mitreißend, ohne den Schmerz unerfüllter homoerotischer Liebe und Leidenschaft, den Tschaikowsky unter der beschwingten Oberfläche mitkomponiert hat, zu verschweigen. Das marschgesättigte Scherzo schäumt bei ihm wie Champagner und gerät im allgemeinen Taumel zu einer regelrechten Offenbachiade, der dann im Finale der Abstieg in die Unterwelt folgt: Ein ergreifender, nostalgisch durchfärbter Abschiedsgesang, bei dem schließlich der Hölle Rachen bei Currentzis in greller Bosch'scher Manier in den gestopften Hörnern hohnlächelt, bevor die Musik ins dunkle Nichts verhaucht. Tschaikowsky starb bekanntlich neun Tage nach der Uraufführung an einer Cholera-Infektion, die er sich je nach biographischer Lesart versehentlich, wissentlich oder sogar auf Anordnung eines Feme-Gerichts, das ihn für seine homosexuelles Verhalten zum Tode verurteilt hatte, zugezogen haben soll.
Die Einspielung hinterlässt vor dem Hintergrund der Interpretationsgeschichte einen faszinierend ambivalenten Eindruck; sie klingt gewissermaßen auf unromantische Art romantisch (oder umgekehrt, je nachdem). Beim Blick in Tschaikowskys Seele waltet gleichsam leidenschaftliche Klarheit. Klangliche Wärme, eine gewisse schwerblütige, gar russische Sinnlichkeit oder "Tiefe" oder was man sonst noch in älteren Einspielungen an romantischen Qualitäten erleben und schätzen mag, all das scheint hier gleichsam wie weggeblasen. Das mag am relativ vibratoarmenen Streicherklang ebenso liegen wie an der aufnahmetechnischen Durchleuchtung der Partitur; die großen melodischen Linien und leidenschaftlichen Bewegungen gibt es zwar auch bei Currentzis, ebenso aber prägt sein Blick auf Tschaikowsky eine manchmal himmelstürmende, kraftvolle Motorik, ein elektrisch-ekstatischer Drive, der die Interpretation klar als ein Kind der Gegenwart, des 21. Jahrhunderts ausweist.
Georg Henkel
Besetzung
Teodor Currentzis, Leitung
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