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Reviews

Tranquillizer

Des Endes Anfang


Info

Musikrichtung: Melodic Death / Black Metal

VÖ: 15.10.2015

(Eigenproduktion)

Gesamtspielzeit: 68:48

Internet:

http://www.facebook.com/tranquillizer.official

Im extremen Metal heutzutage noch was wirklich Eigenständiges zu machen ist schwierig. Deutschsprachige Texte sind spätestens seit Nagelfar, Nocte Obducta und Abrogation allgemein eingeführt, waren aber auch schon früher zu finden (wer erinnert sich noch an das großartige Seelenwinter-Debüt?), und viele Differenzierungsmöglichkeiten bleiben dann nicht mehr übrig. Tranquillizer haben es dennoch geschafft, einen Originalitätsfaktor zu finden: Johannes Gauerke zeichnet nicht nur für die zwischen Grunz und Kreisch pendelnden Vocals verantwortlich, er spielt auch ein Instrument, das materialseitig nahezu als full metal anzusprechen ist, aber trotzdem seinen Weg in den Metal bisher kaum gefunden hat, nämlich eine Posaune. The 3rd And The Mortal hatten dieses Instrument im letzten Jahrtausend mal zum Einsatz gebracht, und der Kenner der sächsischen Szene erinnert sich möglicherweise noch an Cottonbomb, die einen nahen Verwandten, nämlich die Tuba, in ihren harten Rocksound eingebracht hatten – beides allerdings nur mit Gastmusikern, während Tranquillizer aufgrund der Doppelfunktion Gesang/Posaune eine andere Konstellation haben, live allerdings dadurch auch vor dem gleichen Problem stehen wie Jethro Tull: Gleichzeitig ein Blasinstrument spielen und singen geht physiologisch nicht, und so läuft alles auf einen alternierenden Einsatz hinaus. Vielleicht ist das einer der Gründe, daß auch Tranquillizer den Einsatz der Posaune auf zwei der acht Songs (plus Intro) ihres Debütalbums Des Endes Anfang beschränken, was aus Hörersicht der Tonkonserve natürlich schade ist – die beiden Passagen in „Blutrot“ und „Seelenreiter“ zeigen, daß die Arrangementfraktion das Blasinstrument gekonnt einzusetzen vermag und auch der Spieler technisch fit ist, so daß man auch unabhängig vom Originalitätsfaktor diese Kombination gern noch öfter hören wollen würde. Als weiterer Faktor dürfte allerdings hinzugekommen sein, daß Johannes einige Jahre lang nicht nur Sänger, sondern auch noch Drummer der Band war, und gleichzeitig zu trommeln und Posaune zu spielen schafft auch der koordinierteste Musiker nicht ...

Subtrahiert man die Posaune mal aus dem Tranquillizer-Sound, bleibt freilich immer noch eine gelungene Genrescheibe übrig. Das Intro „Agonie“ führt gekonnt in die musikalische Welt der in Frankfurt/Oder beheimateten Band ein. Ähnlich wie bei diversen Genregrößen (Arch Enemy als Exempel) beschränkt sich der Extremmetalfaktor auf den melodiefreien Gesang und gelegentliche Blastspeedanflüge seitens der Drums, während vor allem die Gitarren einen traditionsmetallischen und nicht selten hochmelodischen Aspekt ins Geschehen einbringen. Die beiden Tranquillizer-Saitenschwinger stellen sich dementsprechend auch als Könner ihres Fachs heraus (man höre mal die tollen Doppelleads in „Werde zu Staub“!), und interessanterweise wirkt die Scheibe wie aus einem Guß, obwohl bis auf den Drummer alle Bandmitglieder in wechselnden Konstellationen an Songwriting und Arrangement mitgewirkt haben, wie das Booklet ausweist. Das spricht für eine Homogenität, die in der Lage ist, zahlreiche verschiedene Einflüsse integrieren zu können, wozu auch gelegentliche Schieler in Richtung des Metalcore, wie er ein Jahrzehnt früher en vogue war, zählen. Ob Tranquillizer zu Zeiten ihrer Bandgründung 2008 noch stärker in dieser damals von enorm vielen jungen Bands gepflegten Richtung orientiert waren, müssen Kenner der Bandgeschichte beurteilen, die vielleicht auch die 2011er EP Blutrot besitzen und die Entwicklung innerhalb der bis zum Release des Debütalbums vergangenen Zeitspanne einzuschätzen wissen werden. Was die Band arrangementseitig heute kann, zeigt u.a. „Kapitulation“ mit dem exzellent ins umstehende Getrümmer eingewobenen sphärischen Part, und generell ist die Detaildichte groß genug, daß man auch nach etlichen Hördurchläufen noch interessante und bisher außerhalb der Wahrnehmung gebliebene Elemente entdeckt, ohne sich aber von vornherein aufgrund immens hoher Detaildichte überfordert zu fühlen. Zwar stellt man sich auch bei Tranquillizer die Frage, ob sich die Band durchs konsequente Setzen auf extreme Gesangsformen nicht weitergehender Möglichkeiten beraubt, aber das wäre ja durchaus ein gangbarer Weg für Weiterentwicklungen, sofern Johannes (oder ein anderes Bandmitglied) auch in dieser Richtung Talente besitzt. So bleibt der Weg dieser Band gespannt zu verfolgen, und wenn es irgendwann mal zum Trend wird, Posaunen im Melodeath zu integrieren, dann ist die Antwort auf die Mutter aller Fragen „Wer hat’s erfunden?“ nunmehr klar. Des Endes Anfang ist eine hörenswerte und auch soundtechnisch überzeugende Scheibe, auf der nur die knapp fünfundzwanzigminütige Pause vor dem Hidden Track (keine Spaßnummer, sondern ein vollwertiger Song im typischen Bandstil, aber ohne Posaune) nervt.



Roland Ludwig

Trackliste

1Agonie1:50
2Eine andere Welt5:12
3Bestie Krieg4:31
4Werde zu Staub4:23
5Kapitulation5:07
6Blutrot4:15
7Welk5:26
8Ins Licht3:59
9Seelenreiter6:20
10Hidden Track2:58

Besetzung

Johannes Gauerke (Voc, Posaune)
Aleksander Vetter (Git)
Fabian Wohlgemuth (Git)
Madelaine Kühn (B)
Nico Dunemann (Dr)
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So bewerten wir:

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06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
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19 bis 20 Überflieger