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Reviews

Lully, J.-B. (Rousset, Ch.)

Armide


Info

Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 31.03.2017

(Aparté / Harmonia Mundi / 2 CD / live / 2015 / Best. Nr. AP135)

Gesamtspielzeit: 149:00

ZAUBERISCHES FINALE: LULLYS "ARMIDE"

"Enfin!" - "Endlich!": Mit diesen Worten beginn der berühmte Monolog der Armide am Ende des 2. Akts in Jean-Baptiste Lullys gleichnamiger Oper. "Endlich ist er in meiner Gewalt!" - Er, das ist der der Held Renaud, der Kreuzritter, den die mächtige Sarazenenkriegerin und Zauberin Armide durch dämonisches Blendwerk eingeschläfert hat. Doch der Anblick des schlafenden Ritters überwältigt die Kriegerin: Sie ist nicht fähig, den tödlichen Dochstoß auszuführen. Es ist wahrhaft tragische Liebe auf den ersten Blick ...

So spannungsvoll, wie Marie-Adeline Henry diesen Monolog singt, versteht man sofort, wieso gerade diese Szene für die französischen Opernkomponisten des 17. und auch noch des 18. Jahrhunderts zum Idealmodell dramatsicher Vokalmusik werden konnte. Auf kleinstem Raum werden hier nicht nur die widerstreitenden Affekte kunstvoll konfrontiert, auch Rezitativ und Arie scheinen vollkommen miteinander verschmolzen. Sprechen und Singen sind eins geworden - das französische Ideal. Henry präsentiert uns mit substanzvoller, dunkler Mezzostimme eine leidenschaftliche Frau, körperlich und unmittelbar. Spannungsvoll ausgehaltenen Pausen lassen auch den Hörer den Atem anhalten.

Die Armide ist Lullys finaler Beitrag zum Genre der "Tragédie en musique", der Musiktragödie: eine kunstvolle Architektur aus Tanz- und Instrumentalmusik, Chor- und Sologesang. In den letzten Werken haben Lully und sein Librettist Quinault die mythischen Stoffe zugunsten christlicher Kreuzfahrergeschichten aufgegeben. Diese freilich boten immer noch genügend Gelegenheit für Liebeshändel, Bühnenzauber und Effekte. Die Storys dieser letzten Opern haben durchaus etwas von jener Helden-Intrigen-Fantasy-Ästhetik, die heutzutage TV-Serien wie "Games ot Thrones" für ein Millionenpublikum so attraktiv macht. Das war vor 350 Jahren nicht so viel anders: Man liebte fabelhafte Stoffe, große Themen, starke Gefühle und tragische Verwicklungen, die aber - meistens jedenfalls - in ein Happy End mündeten.

Allerdings nehmen wir ein Werk wie die Armide heute in erster Linie als ein Musikstück wahr. Und die Musik darf sich hier vor allem in den großen Tableaus, den "Divertissements" innerhalb der einzelnen Akte entfalten. Insbesondere die "Verführungs- und Schlummerszene" vor dem Rachemonolog der Armide wird von Lully mit betörenden Klängen ausstaffiert.
Der Komponist hat sein Prinzip einer raffinierten Einfachheit perfektioniert: Die ätherischen Chöre und Airs, unterbrochen von zarten instrumentalen Zwischenspielen, erzeugen eine ebeso berückende wie unwirkliche Atmosphäre. Die Zeit scheint stillzustehen und der Hörer wähnt sich wie der Ritter Renaud ein ein irdisches Paradies entrückt - eine fast schon romantisch anmutende Naturimpression. Renaud erweist sich angesichts all der Schönheit als lyrische Seele und ergeht sich in ergriffenem Staunen, eine interessante Umkehrung der Rollenverhältnisse. Passend dazu legt der hohe Tenor Antonio Figueroa diesen Helden charaktervoll, aber eher sensibel an. Man möchte gerne glauben, dass er Armide auch ohne Magie verfallen wäre ...

Nicht nur in dieser Szene erweisen sich auch das Ensemble Les Talens Lyrique und der Chœur de Chambre de Namur unter der Leitung des Cembalisten Christophe Rousset wieder einmal als führende Lully-Interpreten. Sie vertrauen dabei ganz auf die überlieferte Musik, verzichten durchweg auf Zutaten wie Schlagwerk oder Effektgeräte. Trotzdem fehlt es an nichts.
Die klangfarblichen Schattierungen zwischen Himmelsmusik und Affektgewitter kosten die Musiker kunstvoll aus. Auch Wiederholungen instrumentaler Abschnitte werden immer wieder mit kleinen Variationen gegeben. Dem entsprechen auf vokaler Seite subtile Verzierungen, die vor allem die Airs bereichern.

Nicht minder eindrucksvoll gerät die große Passacaille im 5. Akt., kurz vor dem (Un)happy Ending der Oper: Armide, die Renaud durch Zauberkraft dazu gebracht hat, sie zurückzulieben, lässt ihren Geliebten mit ihren dienstbaren Geistern zurück, die für ihn tanzen und musizieren. Rousset setzt nicht nur auf malerische Wirkungen und weitere Verführungen: Im leidenschaftlichen Drängen des Passacaille-Rhythmus scheint das tragische Ende der Oper sich schon anzukündigen; es wird nur durch die immer neuen Variationen gleichsam aufgehalten.
Doch schließlich wird der Zauber Armides gebrochen, die Verlassene richtet ihre Rache- und Zerstörungswut gegen die eigenen Schöpfungen. Lully zeichnet das Porträt einer verlassenen Frau, die, obschon amazonenhaft und gefährlich, doch Mitgefühl erweckt. Großartig, wie Henry hier die Leidenschaften mit ihrer kraftvollen Stimme befeuert. Kurze, rasende Orchestereinürfe zeichnen den Einsturz ihres Palastes nach. Trotz der relativ kleinen Besetzung präsentieren die Talens Lyrique das Finale mit angemessener Wucht.

Lange Zeit war die Armide nur Aufnahme unter der Leitung von Philipp Herreweghe erhältlich (harmonia mundi, aufgenommen 1992) - eine überzeugende Pioniertat, der 2007 eine nur mäßig überzeugende Naxos-Produktion der amerikanischen Opera Lafayette folgte. Eine DVD-Produktion von von Les Arts Florissants und Regisseur Robert Carsen aus dem folgenden Jahr setzte im Vokalen neue Maßstäbe, lies vor allem szenisch Wünsche offen.
Die Neueinspielung, ein Livemitschnitt aus dem Pariser Philharmonie, übertrifft im Ganzen die Vorgänger, dies vor allem, was die eindrückliche Darstellung der Titelpartie und den dramatischen Impetus angeht: Das Orchesterspiel hat Eleganz und Biss, die Detailgestaltung entfaltet den Reichtum der Musik. Alles fließt organisch.

Überdies sorgt der räumliche Klang des störungsfreien Livemittschnitts für einen volltönenden Höreindruck. Abgerundet wird dieser sehr erfreuliche Gesamteindruck durch die sorgfältige Edition mit französisch-englischem Booklet. Von daher dürfen in das "Enfin!" der Armide auch alle Lully-Liebhaber einstimmen, die sich über die neue Referenzaufnahme freuen.



Georg Henkel

Trackliste

CD 1: Prolog, Akte 1 & 2 75:00
CD 2: Akte 3, 4 & 5 74:00

Besetzung

Antonio Figueroa, Marie-Adeline Henry, Judith van Wanroij, Marie-Claude Chappuis, Marc Mauillon u. a.

Choeur de Chambre de Namur

Les Talens Lyriques

Leitung & Cembalo: Christophe Rousset
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