Reviews
Live
Info
Musikrichtung:
Deutsch-Rock
VÖ: 28.09.1990 (WEA / Warner) Gesamtspielzeit: 89:40 |
15 Jahre nach seinem Debüt und 12 Jahre nach dem Klassiker Mit Pfefferminz bin ich Dein Prinz legte Marius Müller-Westernhagen 1990 seine erste Live-Scheibe vor. Das war eindeutig zu spät.
Kommerziell war Westernhagen zu diesem Zeitpunkt ganz oben angekommen. Mit Halleluja, dem vor der Tour erschienen Album, stand er zum ersten Mal an der Spitze der deutschen Charts. Das konnte er seitdem mit einer Ausnahme (Williamsburg erreichte 2009 „nur“ Platz 2) mit sämtlichen folgenden Alben wiederholen. Halleluja und die drei folgenden Alben wurden jeweils über 1.000.000 Mal verkauft. (Das hat Mit Pfefferminz mittlerweile auch geschafft.) Die Wahnsinnsstimmung, die auf dem Album zu erleben ist, spricht Bände. Hier steht einer der ganz Großen auf der Bühne.
Und dennoch: Für das erste Live-Album war das zu spät. Bereits auf dem schlicht Westernhagen betitelten Vorgänger von Halleluja hatte es eine scheinbar rein äußerliche Veränderung geben, die aber – und das zeichnet sich auch auf Live bereits deutlich ab – einen klaren Schnitt im Auftritt des Künstlers markierte. Übrigens bereits den zweiten.
Drei Alben lang war Marius Müller-Westernhagen ein rockiger Songwriter mit pfiffigen, nachdenklichen und ehrlichen Texten, die zum Teil noch den älteren Jugendlichen erkennen lassen. Wirkliche Erfolge hatte er damit nicht, auch wenn das Debüt Das erste Mal im Zuge seiner weiteren Erfolge irgendwann für 250.000 verkaufte Exemplare mit einer goldenen LP ausgezeichnet wurde. Unverdient: Denn die ersten drei Alben sind gut, besser als manches, das nach Live veröffentlicht wurde.
Mit Pfefferminz bin ich Dein Prinz hat alles geändert. Zusammen mit Produzent Lothar Meid erfand sich Westernhagen hier völlig neu. Im Jeans und Lederjacke stolperte er nun durch die Rotlichtviertel des Ruhrgebiets. Er erzählte von Luden und Huren, von Losern und Halbweltkönigen. Mit „Belmondo“ zapfte er die Atmosphäre des Film noir an, das Glas Johnny Walker in der Hand. Kein Wunder, dass er für die Rolle des glücklosen Stehaufmännchens Theo in dem Roadmovie Theo gegen den Rest der Welt ausgewählt wurde. Theo und Marius waren Brüder im Geiste.
Marius / Theo war zum Zeitpunkt von Live letztlich bereits Vergangenheit. Die CDs erschienen nicht mehr unter dem Namen Marius Müller-Westernhagen, sondern unter dem kurzen Westernhagen. Die abgewetzte Lederjacke blieb im Schrank, stattdessen erschien der Künstler in weißen Designeranzügen. Dass er 1988 ein Top-Model heiratete, passt bestens ins Bild.
1978 sang er „Mit 18 rannte ich in Düsseldorf rum, war Sänger in ‘ner Rock’n’Roll Band.“. Die Band hieß übrigens Harakiri Whoom und war Thema eines gleichnamigen Kurzfilms, den der WDR als ironischen Beitrag zum Thema Kriegsdienstverweigerung hat drehen lassen. 1988 dürfte er wohl eher auf der Düsseldorfer Kö zum Luxus-Shopping gewandelt sein.
1990 steht der gewandelte Künstler auf den Bühnen der Republik und fackelt seine Hits ab. Und ja, der Marius ist noch da, aber – und auch das ist bezeichnend – vor allem auf dem ersten Silberling. Zynisch wird in „Fertig“ mit der Welt abgerechnet. Auch der packende Blues „Lieben werd ich Dich nie“ spiegelt die emotionale Brutalität, die in manchem Belmondo-Film zu sehen ist. Moralisch eher zweifelhaft kommt „Ladykiller“. Das Bläserarrangement gibt ihm etwas Blues Brothers-artiges. Eingebaut in den Old School Teil kommt die Reggae Version von „Halleluja“ richtig gut und bereitet auf das absolute Highlight des Albums vor. Mit viel Bläsern und Harp wird der bisherige Signature Song „Mit Pfefferminz bin ich Dein Prinz“ präsentiert und von Band und Publikum nach allen Regeln der Kunst abgefeiert.
Songs aus einer Zeit, in der Marius hungrig war – eingebettet in Titel, die ein arrivierter erfolgreicher Musiker einem erwachsenen Publikum präsentiert. Auch da ist Westernhagen nicht schlecht. Im Gegenteil. „Nur ein Traum“ ist eine tolle Pop-Hymne. „Nimm mich mit“ und „Freiheit“ sind tolle Feuerzeughymnen, die aber in etwa die Rolle spielen, die „Wind of Change“ für die Scorpions hatte. Aus den rebellischen Misfits werden die respektablen Künstler.
Noch einmal: Live kommt als erstes Live-Album zu spät. Das schmälert seine Qualität nicht, weil Marius noch dabei ist und Westernhagen noch mehr Biss hat, als in den folgenden Jahren.
Aber es kam für das erste Live-Album zu spät: So fehlt ein Livealbum, das nach Stinker oder Geiler is‘ schon die Jahre von Marius Müller-Westernhagen abgebildet hätte.
Trackliste
1 Halleluja (Intro) (1:10)
2 Fertig (3:18)
3 Weißt du, daß ich glücklich bin (7:33)
4 Nur ein Traum (3:57)
5 Keine Zeit (4:40)
6 Lieben werd' ich dich nie (8:13)
7 Ladykiller (3:56)
8 Halleluja (5:05)
9 Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz (6:28)
CD 2
1 Lieb' mich (5:14)
2 Ganz und gar (5:00)
3 Sexy (6:16)
4 Nimm mich mit (8:23)
5 Dicke (4:11)
6 Lass' uns leben (5:10)
7 Geiler is' schon (2:32)
8 Freiheit (2:48)
9 Johnny W. (5:30)
Besetzung
Jay Stapley (Git)
Charlie T. (Dr)
Raoul Walton (B, Voc)
Christian Schneider (Sax, Keys, Git, Voc)
Helmut Zerlett (Keys, Voc)
Dave Plews (Trompete)
Dave Bishop (Sax)
Vince Sullivan (Posaune)
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