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The Indian Queen
Info
Musikrichtung:
Barock Oper
VÖ: 08.01.2016 (Sony Classical / Sony / 2 DVD / live 2014 / Best. Nr. 888750495198) Gesamtspielzeit: 198:00 |
Henry Purcells letzte Bühnenmusik zu dem Theaterstück The Indian Queen (nach einer Vorlage von John Dryden) blieb unvollendet. Purcell starb 1695, sein Bruder Daniel lieferte später die Musik zum Maskenspiel des 5. Aktes nach.
Vor zwei Jahren nahm sich Regisseur Peter Sellars des Werkes an und schuf zusammen mit dem Dirigenten Teodor Currentzis eine gänzlich neue Fassung, die nicht nur den musikalischen Part mit Hilfe diverserer anderer Kompositionen Purcells immens erweiterte, sondern auch inhaltlich ganz neu arrangierte. Die ursprüngliche Version des Stücks verhandelte eine Haupt- und Staatsaktion inklusive Liebesgeschichte zwischen Inkas und Azteken: die Ursupatorin, Königin Zempoalla, unterliegt am Ende dem legitimen Herrscher Montezuma. Angereichert mit allerlei bühenenwirksamen Nebenhandlungen, Kämpfen, amourösen Verwicklungen und tragischen Heldentoden kann man das originale Stück als exotischen und zugleich unterhaltsamen Spiegel der damaligen englischen Politik lesen: Es geht um die Wiederherstellung und Verherrlichung legitimer Herrschermacht.
Auch Sellars geht es um eine solche Aktualisierung, wobei er das Stück dazu gänzlich neu erfindet und seine Botschaft umkehrt: zu einer Anklage gegen den Missbrauch von Macht. Er verlagert das Geschehen aus der Zeit vor der spanischen Eroberung in die Epoche der Conquistadoren. Auf der Basis eines Romans des nicaraguanischen Autors Rosario Aguilar erzählt Sellars The Indian Queen die Geschichte der Indioprinzessin Teculihuatzin, die aus politischen Kalkül eine Konkubine des spanischen Eroberers Don Pedro de Alvarado wird, sich in diesen verliebt und ihm eine Tochter schenkt, bevor sie zunächst Zeugin und am Ende selbst ein Opfer seiner Gewaltherrschaft wird.
Das ergibt einen, wer möchte dies bezweifeln, politisch korrekten Plot, der über eine perspektivreiche Collage aus gesprochenen Texten die wundervolle Musik Purcells mit dem Genozid an den Ureinwohnern Amerikas kurzschließt. Und dieses Arrangement wird, trotz der wohlfeilen, vordergründig anmutenden Historisierung, durch starke Spannungsmomente vorangetrieben, was nicht zuletzt an der fantastischen Leistung der Darsteller- und Musiker_Innen liegt, die von Sellars zudem sehr gut geführt und in Szene gesetzt werden. Die zwischen ethnischer Symbolik und ornamentaler Abstraktion changierenden mobilen Bühnenbilder des Künstlers amerikanischen Künstlers Gronk schaffen dazu weite, atmosphärische Räume. Eine geschickte Bildregie sorgt zudem für eine quasi-fimlische Abbildung der Inszenierung. Lediglich die getanzten Einlagen (Choreographie: Christopher Williams) wollen sich mit ihrer Mischung aus barocker Gestik und Tanztheater-Anmutungen nicht wirklich einfügen.
Sopran Julia Bullock und Tenor Noah Stewart haben in den Hauptrollen zunächst gar nichts zu singen, sondern vor allem zu spielen - was sie mit großartiger Intensität tun. Stärker gefordert sind die durchweg stimmig besetzten Nebenfiguren, die mit ausgewählten Kostbarkeiten aus dem Purcellschen Werkkatalog das Geschehen kommentieren. (Insofern hält Sellars an den Besonderheiten der Purcellschen Semi-Opera fest, die ja ursprünglich nur ein Sprechdrama musikalisch auszieren sollte.) Bei den Countertenören ragt insbesondere Vince Yi mit seinem stratosphärischen Sopran heraus.
Herausragend spielt das MusicAeterna-Orchester, geradezu fulminant agiert der gleichnamige Chor; beide Ensembles stammen aus Russland, genauer: aus Perm. Unter der Leitung von Teodor Currentzis singspielen sie auf einem schlechthin begeisternden Niveau. Dem Chor sind u. a. einige Anthems von Purcells anvertraut, die mit einer unglaublichen Präsenz sowie klangfarblichen und dynamischen Staffelung dargeboten werden und so zu Höhepunkten der Aufführung geraten. Sie verleihen dem Werk mitunter die Wucht einer griechischen Tragödie. Die Musik wirkt in dieser Zusammenstellung in keinem Moment dekorativ, sondern sondern wird selbst zu einem bezwingenden Darsteller.
So gesehen kann man unabhängig von jeder Politisierung in dieser Version von The Indian Queen eine moderne Vollendung von Purcells Semi-Opera sehen.
Der Klang der Aufnahme ist gut, lediglich die ständigen Huster des Publikums gerade bei den leisen Stellen stören.
Georg Henkel
Besetzung
Noah Stewart
Vince Li, Christophe Dumaux, Markus Brutscher, Nadine Koutcher, Luthando Qave u. a.
MusicAeterna Chorus & Orchestra
Leitung: Teodor Currentzis
Regie: Peter Sellars
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |