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Reviews

Biber, H. I. F. (Vriend)

Soldaten, Zigeuner, Bauern und Nachtwächter


Info

Musikrichtung: Ensemblemusik des Barock

VÖ: 01.11.2004

Challenge Classics / Note 1
SACD hybrid (AD 2004) / Best. Nr. 72132


Gesamtspielzeit: 56:00

ZEITLOS EXOTISCHES BAROCK

Bereits die ersten Takte verblüffen: Hatte ich nicht eine Aufnahme mit Werken von Heinrich Ignaz Franz Biber eingelegt? Nun klingt’s eher nach einem Mandolinenkonzert von Antonio Vivaldi! Das liegt an der Kombination von Hackbrett und Chitarrone (einer großen, resonanzreiche Laute), die den vierstimmigen Arien Bibers im Bassfundament eine ungewöhnliche Farbe verleiht. Dieser Kniff allein ist es jedoch nicht, was die Musik aus dem deftigen österreichischen Hochbarock des 17. in das Bizarritäten schätzende Venedig des 18. Jahrhundert katapultiert. Dazu kommt der geradezu jazzige Schmiss, mit dem die sieben Spieler des Combattimento-Consort Amsterdam Bibers Miniaturen darbieten.
Längst schon ist dieser vor allem in Olmütz und Salzburg wirkende „Kleinmeister“ als Großmeister seiner Zeit anerkannt. Dass er im Jubiläumstodesjahr 2004 durch zahlreiche Plattenproduktionen neue Aufmerksamkeit erfährt, ist auch die Frucht jener Pionierarbeit, die vor allem Nikolaus Harnoncourt und Reinhard Goebel seit den 60er und 80er Jahren geleistet haben. Durch ihre hinreißenden Aufnahmen wurde die Wiederentdeckung von Bibers aufregender Violinkunst, seiner avantgardistisch anmutenden Programmmusik und schließlich auch seiner geistlichen Vokalmusik entscheidend inspiriert.

Das Combattimento Consort steht hörbar in dieser Tradition. Es begeistert durch die spritzige Virtuosität und Phantasie der Interpretation. Verglichen mit den Einspielungen von Goebel und seiner Musica Antiqua Köln besticht die Lockerheit, mit der gleichsam aus dem Handgelenk musiziert wird. Dafür klingt es nicht ganz so herzhaft und klangvoll wie bei den Meistern von Rhein, die die Pauernkirchfahrt und Battalia zudem breiter ausmalen (DG Archiv).
Bei den Niederländern werden Bibers Effekte allerdings so lustvoll ausgespielt wie schon lange nicht mehr: Dank des Hackbretts und der schrägen Tongebung singen die seltsamen Zigeunerweisen aus der Sonata Jucunda noch ein bisschen exotischer als bei Goebel; in der notorischen Battalia schnarren die tiefen Saiten des Kontrabass perkussiver als weiland bei Harnoncourt & Co. In solchen Momenten schießt Biber noch über Vivaldi hinaus direkt ins 20. Jahrhundert, bleibt aber dank der literarischen Vorlagen selbst dann noch verständlich, wenn er ein ganzes „Heerlager“ die internationalen Gassenhauer seiner Zeit durcheinander singen lässt. Charles Ives hat so etwas auch wieder gemacht, am Anfang des 20. Jahrhunderts! Mit seinem ebenso kunst- wie humorvollen Zugriff trifft das Consort schließlich auch beim einfallsreichen Melodiker und Konzertmeister der Mensa Sonora und Balletti den richtigen Ton.



Georg Henkel

Trackliste

1Arien a 44:55
2Sonata a 6 „Die Pauernkirchfahrt genandt“5:16
3Balletto „Die Werber“6:56
4Serenada a 5 „mit dem Nachtwächterlied“9:29
5Pars nr. III aus der „Mensa Sonora“6:27
6Balletti8:50
7Battalia7:30
8Sonata Jucunda6:37

Besetzung

Jan Willem de Vriend, Eva Stegeman, Jacobien Rozemond, Reiner Reijngoud, Christ Duindam, Saskia Bos (Violine)
Annette Bergman, Jacobien Rozemond, Helena van Tongeren (Viola)
Wouter Mijnders (Cello)
Peter Jansen (Kontrabass)
Pieter Dirksen (Orgel und Cembalo)
Michiel Weidner (Hackbrett)
Søren Leupold (Chiatrrone)
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