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The Who

Live In Hyde Park (DVD)

Info Musikrichtung: Rock VÖ: 20.11.2015 (Eagle Vision / Universal) Gesamtspielzeit: 123:00 Internet: http://www.thewho.com

Verwunderlich ist, dass gerade die Band The Who in diesem Jahr ihr 50stes Dienstjubiläum feiert - und dazu auch noch Live-Konzerte gibt. Wenn man bedenkt, was sich das illustre Quartett alles an Substanzen reingepfiffen hat, ist es geradezu ein Wunder, dass immerhin noch zwei Überlebende der Ur-Besetzung zusammen auftreten können.

Der Londoner Hyde-Park ist mit 65.000 Fans rappelvoll, als Pete Townshend und Roger Daltrey zusammen mit ihrer Band auf die Bühne kommen. Davor und dazwischen gibt es ein paar kurze Interview-Sequenzen mit Daltrey, Townshend und anderen Musikern wie z. B. Iggy Pop, die aber ausgeblendet werden können. Die tiefe Verbundenheit der englischen Fans zu „ihrer“ Band wird ebenfalls in kurzen Filmchen erklärt.

Es wird wie bei The Who üblich nicht lange gefackelt. „I Can’t Explain“ eröffnet eine triumphale Rock-Show, bei der fast keine Wünsche offen bleiben. Die gigantische Bühne bietet genug Platz für alle beteiligten Musiker. Durch die ruhige Kameraführung ist man stets mittendrin im Geschehen. Es findet hin und wieder ein Wechsel ins Publikum statt, der jedoch völlig unhektisch wirkt und schlicht und ergreifend passt. Sound und Bild sind perfekt. Durch die gelegentlichen Schwenks ins Publikum bekommt man die Reaktionen der Fans hautnah mit. Allein die riesigen Dimensionen des Konzertareals rauben mir fast den Atem. Daltrey und Townshend sind an dem Abend sichtlich gut gelaunt. Townshend packt gleich bei den ersten Songs seine berühmt-berüchtigte „Windmühle“ aus und malträtiert seine Gitarre. Daltrey braucht ein paar Songs bis er auf Touren kommt, aber im Laufe des Konzerts läuft er zur Höchstform auf. Anspieltipp ist hier klar „Love Reign O’er Me“, bei dem er eine starke Gesangsleistung hinlegt.

Riesige Leinwände blenden passend zu den jeweiligen Songs im Hintergrund kleine Filmchen ein. Das ist vor allem bei den Tommy-Songs sehr passend. Am besten gefallen mir jedoch die Fotos früherer Tage, auf denen noch John Entwistle, der Jahrhundert-Bassist und der durchgeknallte Keith Moon „The Loon“ am Schlagzeug zu sehen sind. Bei einem Song in dem gerade ein Solo gespielt wird, dreht sich Daltrey zur Leinwand um und schaut John Entwistle respektvoll an, der gerade ganz groß zu sehen ist. Ein Moment, der zumindest mir meterhohe Schauer über den Rücken jagt. Es sind solche Momente wie dieser, die auf dieser DVD häufig zu sehen sind und diesen Silberling so besonders machen.

Ein Rührstück für Rentner ist diese DVD jedoch beileibe nicht, dafür sind Townshend und Daltrey zu sehr im Hier und Jetzt verankert. Es ist sehr gut zu beobachten, wie die musikalische Wandlung vom martialischen Power-Trio mit Sänger, als das sie einst gestartet sind, zur musikalisch perfekt aufeinander abgestimmten Bigband vollzogen wurde. Wo früher Lautstärke und Wucht dominierten, herrscht heute musikalische Virtuosität und Mut zum Detail - siehe der Anfang mit der Maultrommel bei „Join Together“. Eine Bühnenshow gibt es faktisch nicht. Es werden keine Gimmicks eingebaut, es gibt keine ellenlangen Solos, es explodiert nichts und die Songs werden schnörkellos nahe an den Studiofassungen präsentiert. Es geht nur um die Musik, und die überzeugt auf ganzer Linie.

Viel Mühe haben sich Daltrey und Co. bei den Backing-Vocals gegeben. Was früher oft etwas dahingeschludert wirkte, kommt heute sauber aus den Boxen. Ich bin direkt verwundert, wie gut Townshend und Daltrey gesanglich harmonieren. Der übliche derbe Humor der Band kommt auch hin und wieder zum Tragen. Bei dem für mich völlig überraschend gespielten „Pictures Of Lily“, in dem es entgegen diverser Mutmaßungen lediglich ums Onanieren geht, wird im Hintergrund ein Foto einer gewissen „Lily“ eingeblendet. Dabei handelt es sich natürlich um Keith Moon in Frauenkleidern…

Was absolut Laune macht, ist das englische Publikum. Sie feiern ihre Idole, wie es sich gehört. Ein fünfzigster Geburtstag muss schließlich gebührend begangen werden! Die Band steigert sich zur Höchstform, als mit „Amazing Journey“ die Tommy-LP gewürdigt wird. Die beiden Zugaben „Baba O’ Riley“ und das wuchtige „Won’t Get Fooled Again“ geben dem Publikum den Rest und zeigen einen Pete Townshend, der noch einmal das letzte aus seiner Fender-Gitarre rausholt. Daltrey begeistert die Massen mit seinem „Yeah“-Urschrei bei diesem Song, danach ist nach fast zwei Stunden Schluss.

Als Bonus-Tracks gibt es noch „The Seeker“, das für mich völlig unbegreiflich nicht im regulären Set auftaucht, obwohl es dort gespielt wurde. Ansonsten gibt es noch „The Kids Are Alright“ und „You Better You Bet“ mit schönen Videoeinspielungen. Kurios ist sicherlich auch „Squeeze Box“, das mit von John Entwistle animierten Zeichnungen zum Leben erweckt wird. Und der Lacher zum Schluss findet im Abspann des Konzerts statt. Mehr wird hier nicht verraten - unbedingt selber anschauen!

Die DVD ist die vielleicht beste The-Who-DVD, die sie in den letzten Jahren aufgenommen haben. Sie zeigt zwei gereifte und immer noch hoch motivierte Musiker, die niemandem etwas mehr beweisen müssen und vielleicht sogar genau dadurch zur Höchstform auflaufen. Die Macher der DVD haben kapiert um was es bei dieser Band geht und genau das filmisch festgehalten. Gratulation - das sind für mich 19 Punkte! 20 Punkte hätte es gegeben, wenn das Bonusmaterial etwas üppiger ausgefallen wäre. Einen negativen Aspekt bringt diese DVD jedoch auch mit sich: Bei dieser Hammer-Performance ist es noch schwerer zu verkraften, dass im Rahmen dieser Jubiläumstour kein einziger Auftritt der Band in Deutschland stattgefunden hat!

Stefan Graßl