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Die Entführung aus dem Serail
Info
Musikrichtung:
Klassik Singspiel
VÖ: 16.10.2015 (Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2014 / Best. Nr. 902214.15) Gesamtspielzeit: 160:00 |
HINREISSENDE ENTFÜHRUNG DURCH MUSIK
Mit Die Entführung aus dem Serail platziert René Jacobs den krönenden Schlussstein auf seinem Mozart-Zyklus. Und wie bei den Produktionen zuvor, so hat Jacobs auch hier nicht etwa nur ein einmal erfolgreiches Interpretationskonzept wiederholt, sondern, nach genauem Studium aller Quellen, das Stück von Grund auf neu erarbeitet. Und das ist es ja auch, was man an Mozart bewundern kann: Jedes Werk ist ein originärer Wurf, in jedem Fall gibt der Komponist dem Libretto genau die zu dieser Vorlage passende Musik.
Die Partitur bedarf für Jacobs einer Verlebendigung aus dem Geist der Vergangenheit mit ihren besonderen stilistischen und technischen Anforderungen und der Gegenwart, in der das Stück erklingt und vom heutigen Publikum in seiner Aktualität erlebt wird.
Und weil dieses Publikum vor der heimischen Stereoanlage nichts sieht, sondern nur hört, muss den Ohren noch etwas mehr als sonst geboten werden. So wird diese Oper, wie zuvor schon die Zauberflöte, zu einem musikalischen Hörspiel. Deswegen wurden auch die gesprochenen Dialoge nicht gekürzt, sondern liebevoll und mit Gespür für ihren dramaturgischen Bezug zur Musik bearbeitet und inszeniert. Letzteres nicht nur mit diskreten Geräuscheffekten; vor allem dem Hammerklavier (Andreas Küppers) kommt eine tragende Bedeutung zu: Mit zahlreichen Einwürfen, kleinen Präludien oder Untermalungen im Stil des seinerzeit populären Melodrams werden die Sprechtexte musikalisiert und mit den vor- und nachfolgenden Gesangsnummern sinnig verbunden. Dabei kommen mehrheitlich kurze Passagen aus Mozarts Klavierstücken zum Einsatz, die im Hinblick auf die passenden Stimmungen und Affekte ausgewählt wurden - eine Lösung, die, ebenso wie die immer wieder hervoblitzenden "Continuo"-Einsätze beim Orchesterpart, ganz natürlich wirkt. Als Hörer springt man darum auch nicht wie sonst ungeduldig von einer Gesangsnummer zur nächsten, sondern möchte wirklich alles hören!
All diese "Effekte" dienen dem Ausdruck und der Steiergung der opernhaften Wirkung und natürlich nicht zuletzt der respektvollen Verfeinerung und Verschönerung der Originalkomposition. Das Klavier bringt Mozarts Partitur regekrecht zum Funkeln!
Wobei auch die Akademie für Alte Musik Berlin eine fulminante Leistung bietet und den großen Reichtum der Musik in jedem Takt hörbar macht und, vor allem in den Holzbläsern, immer neue Farbspiele hervorzaubert. Man merkt, dass an jedem Detail gefeilt wurde. Trotzdem klingt nichts technisch und "studiert".
Natürlich wäre all das nichts ohne die entsprechenden vokalen Akteure, die, wie auch sonst bei Jacobs, nicht nur korrekt nach Noten singen, sondern ihre Partien auch stilecht auszieren müssen.
Robin Johannsen leiht der Konstanze eine silbrig-virtuose Stimme, die lediglich in der Höhe hier und da etwas an eine Grenze kommt. Johannsen zur Seite steht der Belmonte von Maximlian Schmitt, ein jugendlicher, eleganter Tenor. Beider Darbietung überzeugt und sie harmonieren bestens miteinander. Im Ganzen ist sie sowohl klanglich wie ausdrucksmäßig aber etwas weniger gesättigt als die des 2. Paares, das mit Mari Eriksmoen und Julian Prégardien hinreißend besetzt ist. Herausragend ist freilich noch einmal der Osmin von Dimitry Ivashchenko, der der tragisch-komischen Gestalt des polternden und grausamen Haremswächters ausgesprochen differenzierte Charakterzüge verleiht. Für die einzige durchgängige Sprechrolle, die des Bassa Selim, hat Jakobs mit Cornelius Obonya einen suggestiven Darsteller gefunden, der dieser tragischen Gestalt Würde, Tiefe, Kraft und Attraktivität verleiht. So wird verständlich, dass Konstanze - nach außen uneingestanden - mehr für ihn empfindet als nur platonische Verehrung.
Die Aufnahmetechnik schließlich sorgt dafür, dass das prächtige Ensemble seine Spielfreude auf der imagniären Bühne des Berliner Teldex Studios sozusagen in 3-D-Stereo ausleben kann. Das war offensichtlich so ansteckend, dass es sich auch Maestro Jacobs nicht hat nehmen lassen, als fistelnder muselmanischer Nachtwächter noch einen kleinen Cameoauftritt zu absolvieren ... Mit Vergnügen lässt man sich über zweieinhalb Stunden in die musikalische Welt von Mozart-Jacobs Opern-Serail entführen!
Georg Henkel
Besetzung
RIAS Kammerchor
Akademie für Alte Musik Berlin
Rene Jacobs
So bewerten wir:
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06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
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19 bis 20 | Überflieger |