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Piano, Violin, Viola, Cello (1987)
Info
Musikrichtung:
Neue Musik
VÖ: 03.07.2015 (Stradivarius / CD / DDD / 2013 / Best. Nr. STR 33967) Gesamtspielzeit: 71:51 |
ABSTRAKTE SINNLICHKEIT
Piano, Violin, Viola, Cello ist das letzte Stück, das Morton Feldman noch zwei Monate vor seinem Tod vollenden konnte. Es ist wie alle seine "Spätwerke" von einer grandiosen Statik und Strenge und durch eine radikale Reduktion der Mittel gekennzeichnet. Im Zentrum steht der Klang - als Klang. Es dient nicht dazu, eine musikalische Form oder Struktur zu kolorieren (wie sonst in der Musik). Er wird nicht nach einem bestimmten Plan "manipuliert" oder mit Blick auf ein Ziel hin verarbeitet. Er hat keine "Bedeutung" oder "Funktion". Er ist, was er ist. Und das ist, wie man bei Feldman immer wieder mit Staunen erleben kann, sehr viel und sehr schön!
Gleich die ersten fahlen Pianissimo-Streicherklänge - die Instrumente spielen durchweg mit Dämpfer - und die lakonisch dagegen gesetzten zarten Klavierakkorde versetzten der Hörer in eine winterlich-erstarrte Klangwelt: eine weite Ebene aus feinen Weiß-Grau-Abstufungen. Feldman bleibt seiner speziellen Harmonik auch in diesem Stück treu: Ein Akkordfeld aus Sekundintervallen - B, C, Des, D und Es - wird immer neu orchestriert und registriert.
Der Streicherpart erinnert an Passagen aus seinen Streichquartetten und aus Piano and String Quartet. Man hört scheinbar immer das Gleiche, das aber immer anders ist, sich unmerklich verändert, immer neu beleuchtet und fokussiert wird. Wiederholungen sind keine wirklichen Wiederholungen. Aber ebenso können sich vermeintliche Veränderungen als Illusion erweisen.
Feldman lässt weitere Töne, neue Register und Lagen hinzutreten, verwendet sie, um den Grundklang wie ein Klang-Maler neu abzumischen und zu schattieren. Einzeltöne lösen sich heraus, fügen sich mit den dichteren Akkorden zu einfachen Mustern, zu Patterns. In den Rapport wird fremdes Material eingwoben, u. a. vier Akkorde aus Debussys Prelude "Des pas sur la neige", eine Figur, die hier ganz authentisch feldmanesk anmutet und vielleicht die Winteratmosphäre des Stückes hintergründig mitbestimmt hat. Manches in Piano, Violin, Viola, Cello wirkt auch wie ein fernes Echo jener eigentümlich schwebenden Harmonien, mit denen der Komponist Charles Ives in seinen "Three Places" und der Holydays-Sinfonie die Landschaften Neuenglands gezeichnet hat.
Trotz vermeintlicher Dauer-Wiederholungen wirkt die Musik nicht monoton. Ihre Delikatesse und Zartheit verlangt aber vom Hörer die Bereitschaft, sich für rund 70 Minuten ganz konzentriert dem Klang hinzugeben. Und Interpreten, die die subtilen Nuancen der Musik herausmusizieren: kontemplativ und hochkonzentriert zugleich. Jeder Klang muss einmalig wirken und eine abstrakte Sinnlichkeit entfalten. Er muss in die ihn umgebende Stille ganz selbstverständlich eingebettet sein und atmen können. All dies gelingt dem italienischen Quatetto Klimt ganz ausgezeichnet, auch wegen der diskreten Tontechnik, die die Klänge nicht zu direkt, aber doch präsent abbildet.
Mit diesem Stück, das sicherlich nicht zu den zugänglichsten der letzten Feldman-Werke gehört und auf CD bislang kaum vertreten war, erweist sich der amerikanische Komponist noch einemal als der große Meister, der er war.
Georg Henkel
Besetzung
Edoardo Rosadini: Viola
Alice Gabbiani: Cello
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |