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Aguirre
Info
Musikrichtung:
Cister und Ensemble
VÖ: 18.10.2004 HMD / BMG Classics / BMG CD DDD (AD 2004)/ Best. Nr. 82876 60489 2 Gesamtspielzeit: 73:18 Internet: Hille Perl & Los Otros |
HOW TO ROCK AGUIRRE
Noch bevor ich diese Aufnahme einmal richtig durchgehört hatte, amüsierte ich mich bereits über den launigen Text, den Lee Santana für diese Produktion verfasst hat. Santana ist beim Ensemble Los Otros ein Experte für alles, was man zupfen kann. Er bietet hier einen recht offenherzigen Bericht über die oft krummen Wege, den die Interpreten der Alten Musik gehen müssen, damit die lange verklungenen Töne auch beim heutigen Hörer wieder überzeugend ankommen.
In diesem Fall stammt das musikalische Material zum überwiegenden Teil aus der ominösen metodo de cítera eines gewissen Sebastian de Aguirre, einem Südamerikaner, von dem man kaum die biographischen Eckdaten kennt (er starb vermutlich um 1720). Die cítera bzw. Cister ist ein von der Fiedel herkommendes metallbesaitetes Zupfinstrument mit einer verwickelten Geschichte und vielen Namen. Hier kommt eine nach Aguirres Vorgaben eigens angefertigte Spezialform zum Einsatz. Der Klang liegt irgendwo zwischen Banjo und Gitarre, ist obertönig und silbrig.
So weit so gut. Was Aguirre in seiner metodo an Repertoire für dieses Instrument anbietet, ist allerdings mehr eine Sammlung von Skizzen, (fehlerhaften) Versatzstücken und Fragmenten. Also: Schönes Material für viele „Hits“ - wenn man denn durchsteigt.
Über so viel Freiheit konnten sich die Musiker/innen von Los Otros zunächst nicht einig werden. Es sei dem Schlagzeuger Pedro Estevan zu verdanken, dass aus dem Projekt mehr geworden sei als laute Worte und zwei im Zorn zerschmetterte Flaschen. Estevan, der ein bisschen aussieht wie ein Gandalf ohne Hut (aber dafür mit Brille), spielt hier „alles mögliche unmögliche Zeug, besonders aber seine wunderbaren Hände und eine Triangel“. Er brachte die richtigen Ideen zur rechten Zeit mit, um Aguirres Chaos (und den Frust der anderen Otros’) doch noch in Musik zu verwandeln. Vielleicht hat er auch deshalb ein Solo bekommen: Los manos no engañan.
Das Stück fügt sich in die archaische Landschaft dieser Produktion mühelos ein. Vitale südamerikanische Rhythmen, ohrgängige barocke Variations- und Improvisationsmodelle, sonorer Gambenklang und „Riffs“ von Gitarre, Cister und Xarana verbinden sich mit allerlei Perkussionszauber zu einem abwechslungsreichen Panorama. Mal scheint diese Musik hitzeschwer und melancholisch in der tropisch feuchten Luft zu hängen, dann wieder steigert sie sich unversehens ins Tänzerische, Rauschhafte. Obschon der barocke Hintergrund immer wieder durchklingt, wirken die Stücke - Santana spricht ganz bewusst von Sessions - zeitlos modern und überwinden zwanglos die Stilgrenzen. Jazziger hat es lange nicht mehr aus den Boxen geklungen. Beim Anhören stieg die gefühlte Raumtemperatur um mindestens 5 Grad!
Georg Henkel
Trackliste
1 | El Coquis | 3:36 |
2 | Morisca triste | 6:30 |
3 | Folias | 6:15 |
4 | Canarios | 4:01 |
5 | La Oleada | 2:41 |
6 | Hacha | 5:13 |
7 | Estevan | 4:26 |
8 | Marizápalos | 5:30 |
9 | Bran a la cran | 3:47 |
10 | Canarios a la cran | 3:12 |
11 | Glosado 1o tono | 1:14 |
12 | El Amor | 1:56 |
13 | Xaracas | 2:12 |
14 | Tocotin | 4:05 |
15 | Spanish Pavan | 5:12 |
16 | Puerto Rico de la Puebla | 3:18 |
17 | Balona de Bailar | 10:37 |
Besetzung
Steve Player (Marana, Barockgitarre, Chittarone, Cajón)
Lee Santana (Mexianische Cister, Chitarrone, Marana)
Pedro Estevan (Schlagzeug)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |