Reviews
Dèsarroi
Info
Musikrichtung:
Artpop / Postrock
VÖ: 20.02.2015 (Staubgold) Gesamtspielzeit: 40:24 Internet: http://www.kammerflimmer.com |
Das Kammerflimmer Kollektief rockt! Nun, natürlich auf seine höchst eigene Weise, jedoch hat sich das 1996 von Thomas Weber gegründete Projekt nach den zuletzt eher sphärischen Band-Alben und dem fast schon poppig anmutenden Projekt The Schwarzenbach auf Désarroi eine wesentlich rauer Klangfarbe auferlegt.
Eröffnet wird mit 15 Sekunden Stille bevor ein straighter Perkussion-/Bassrhythmus durch quietschende Instrumente geleitet, die kakophonisch anmutend in ein harsches Gitarrenriff münden. Darunter liegen schwebende Synthieflächen. Am Ende zerfällt das Stück unter psychedelischen Klängen in brachial bearbeiteten Saiteninstrumenten.
„Désarroi #2“: grundstürzend nimmt es den Rhythmus vom 1. Teil wieder auf, jetzt jedoch in sehr moderner Form. Die knarzenden Instrumente weichen in den Hintergrund und ein dunkles Cello übernimmt die Führung. Das für das Kollektief so wichtige Harmonium taucht natürlich ebenfalls auf und zusammen ergibt das mit den programmierten Sounds die reine Psychedelik. Auch vor dem mit ungewohnt brachialen Sounds beginnenden “Free Form Freak Out“ herrscht erst einmal sekundenlang Stille. Vor psychedelischen Sounds spielt sich Thomas Weber dann auf seinem Doublebass die Finger wund, das Harmonium erzeugt unglaubliche Sounds und so entsteht eine psychedelische Nummer die an die Pink Floyd von Saucerful of Secrets und Ummagumma erinnert.
Der “Evol Jam (edit)“ beginnt wiederum erst nach einigen Sekunden Stille mit dem dunkel gestrichenen Bass. Dann setzt eine bezaubernde Melodie auf der Gitarre ein und auch endlich die so stilprägende Stimme Heike Weinmüllers. Ganz im Gegensatz zum Titel entsteht so zunächst ein bezaubernder psychedelischer Popsong der dann jedoch von einem ausufernden Harmonium und einem elektronisch verstümmelten Bassgeräusch in die Jamrichtung gebracht wird. Doch auch dies ist nur ein kurzes Intermezzo, welches auch durch den immer weiter geführten Rhythmus nicht wie ein Fremdkörper wirkt, denn dann setzt wieder die so wundervolle Anfangssequenz ein. Eine wundervolle Ballade in der Tradition eines David Sylvian auf Kammerflimmer-Kollektief-Art.
Die folgenden Teile 3 - 5 des Titelstückes beginnen mit einer schwebenden Melodie aus verhallenden Gitarren, Harmonium, dem prägnanten Knarzen des Basses und schwebenden Sounds und erinnern mich, vielleicht auch wegen den Gesprächsfetzen, stimmungsmäßig ein wenig an das gerade erschienene Pink-Floyd-Album. Hier arbeitet das Kollektief die melancholisch dunkle Stimmung breitflächig aus, die eingängigen Keyboardklänge ziehen den Hörer sofort in den Bann. Die Arbeitsgeräusche der Instrumente geben dem Ganzen einen so transparenten, authentischen Klang als säße man direkt zwischen den Musikern, eine unglaubliche Wirkung.
Dissonante Streichgeräusche auf dem Bass eröffnen den nächsten Teil, ein treibender, sehr moderner Beat setzt ein, über den sich ausgetobt wird. Aber beinah unlösbar ist der Beat im Mittelpunkt, der sich unaufhaltsam durch das Stück zieht. Die wilde Perkussion, das Gewirr aus gestrichenen und gezupften Bass, das wilde Harmonium, die FX-Geräusche umschwirren den Hörer, doch der Beat bahnt sich unaufhaltsam seinen Weg durch dieses Stück zwischen Psychedelik und Kakophonie. Der letzte Teil namens “saumselig“ schlägt dann wieder die sphärischen Klänge an. Der Bass muss wieder leiden, jedoch überlagern nun die FX-Geräusche, das sphärische Keyboard und das ebenso atmosphärische Harmonium die Klänge.
Zum Abschluss gibt es dann noch wirklich Sensationelles: Das Kammerflimmer Kollektief covert ein Stück der deutschen Ur-Punker SYPH: “Zurück zum Beton (Version)“. Auch hier kommt der insgesamt rauere Ton der Scheibe zum Vorschein, doch merkt man hier auch die Spuren des The Schwarzenbach Projektes. Ein sehr poppiger Beat, ein ebensolcher Bass und darüber die schwebend, irgendwie unwirkliche Stimme Aumüllers. Vom Punk bleibt hier höchstens noch der treibende Beat, wenn dieser auch eher im treibenden Tekkno angesiedelt ist. Ein wunderbarer Popsong im Kammerflimmer-Kollektief-Kosmos.
Désarroi führt das Kammerflimmer Kollektief vielleicht ein Stück zurück zu ihren Anfängen, mit den eingesetzten Sounds und der spielerischen Klasse jedoch ganz weit nach vorn im aktuellen Postrock-Bereich. Ein weiteres kleines Meisterwerk dieser Ausnahmeband.
Wolfgang Kabsch
Trackliste
1 | Désarroi #1: Mayhem! | 4:09 |
2 | Désarroi #2: grundsturzend | 5:52 |
3 | Free Form Freak-Out | 6:01 |
4 | Evol Jam (Edit) | 5:34 |
5 | Désarroi #3: burned | 7:12 |
6 | Désarroi #4: unlösbar | 4:23 |
7 | Désarroi #5: saumselig | 2:31 |
8 | Zuruck zum Beton (Version) | 4:42 |
Besetzung
Heike Aumüller
Johannes Frisch
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |