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Reviews

Udo Lindenberg

Ball Pompös


Info

Musikrichtung: Deutsch Rock

VÖ: 1974

(Teldec)

Gesamtspielzeit: 32:53

Ich hatte mich entschlossen, anlässlich der Veröffentlichung der Lindenberg-Biographie Panikpräsident eine Lindenberg-Scheibe „im Rückspiegel“ zu betrachten. Nur, welche sollte es sein? Ball Pompös bietet sich doppelt an. Zum einen feiert die Scheibe 1974 ihr 30ste Jubiläum; zum anderen ist sie vielleicht die wichtigste LP in seiner Karriere gewesen. Mit dem Vorgänger Andrea Doria hatte der Panikpräsident sein Panik-Konzept entworfen. Im Titelstück “Alles klar auf der Andrea Doria“ beschreibt Lindenberg das Publikum im Onkel Pö, der Brutstätte der Hamburger Szene. Bernie Flottmann, Elli Pyrelli und die anderen skurrilen Typen, die dort beschrieben werden, wirken eher wie eine Menagerie und werden zur Blaupause für die Panikfamilie, die Lindenberg in den folgenden Jahren wie einen Hofstaat um sich sammelt.

Mit Ball Pompös musste sich zeigen, ob Lindenbergs Panikzirkus eine gelungener, aber einmaliger Gag gewesen war, oder ob sein Rock-Theater-Konzept im deutschen Konzept Zukunft haben konnte. Die Folge war ein einmaliger Triumphzug, der 1978 in der der auf der Live-LP Livehaftig verewigten Tour zur LP Dröhnland Symphonie seinen Höhepunkt fand. Auf dem Weg dorthin wurden der versoffene Fußballer Bodo Ballermann, der greise Stehgeiger Rudi Ratlos, der wahnsinnige Dirigent Wotan Wahnwitz, der außerirdische Talentscout Gerhard Gösebrecht oder Riki Masorati mit dem Bleifuß Gestalten der deutschen Alltagskultur.

Im Opener ”Jonny Controletti” steigt Lindenberg in den Nadelstreifenanzug seines alter ego, des heissblütigen sizillianischen Mafiosi, der liebenswert, aber sehr bestimmt die Zügel in den Händen hält. Mit der “Honky Tonky Show“ folgt eine absolute Power-Nummer, bei der Gottfried Böttger, dem schon in “Andrea Doria“ ein ersten Denkmal gesetzt worden war, am Hammerpiano begeistert. Das Gegenstück dazu auf der zweiten LP-Seite sind die “Riskanten Spiele“. Dass er auch anders kann zeigen die Balladen “Leider nur ein Vakuum“ und der “Cowboy Rocker“. Hier beweist der neue deutsche Superstar seine ungeheuer sensible Beobachtungsgabe, die es ihm ermöglicht präzise sensible Sittengemälde zu zeichnen, die auch unter skurrilsten Verzerrungen erkennbar bleiben; eine Fähigkeit, die auf seinen späteren Alben deutlich nachlässt.

Mit Ball Pompös hat Lindenberg bereits fast alle Themen, die seine Karriere prägen werden, gefunden: Drogensucht (“Riskante Spiele“), Kritik der Spießergesellschaft (“Leider nur ein Vakuum“), Homosexualität (“Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt), “Mitgefühl mit den Loosern (“Rudi Ratlos“, „Cowboy Rocker“) und Coolness (“Bitte keine Love Story“). Das deustch-deutsche Thema war bereits auf dem Vorgänger-Album aufgegriffen worden. Lediglich die explizit politische Auseinadersetzung mit der bundesdeutschen Realität und die Friedensthematik muss noch etwas warten. Aber spätestens mit dem Science Fiction-Opus “Gene Galaxo“ auf der LP Galaxo Gang ist auch sie auf dem Programm.

Mit dem abschließenden Hattrick frönt Lindenberg zum ersten Mal seiner Lieben für die Roaring Twenties, die später noch ganze Alben füllen soll.
Wer den frühen Lindenberg lieben lernen will, kann im Grunde bedenkenlos zu allen Scheiben zwischen 1973 und 1978 greifen. Ball pompös ist aber die vielleicht abwechslungsreichste LP dieser Ära.



Norbert von Fransecky

Trackliste

1Jonny Controletti 3:09
2Honky Tonky Show 5:26
3Leider nur ein Vakuum 2:59
4Rudi Ratlos 3:09
5Bitte keine Love Story 3:45
6Gerhard Gösebrecht 2:30
7Cowboy Rocker 5:57
8Nostalgie Club 1:52
9Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt 2:37
10Glitzerknabe 1:29

Besetzung

Udo Lindenberg (Voc, Dr)
Karl Allaut (Git)
Gottfried Böttger (Klavier)
Steffi Stephan (B)
Backi Backhausen (Dr)

Gäste:
Keith Forsey (Dr)
Dieter Ahrendt (Dr)
Helmut Franke (Git)
Thomas Kretschmer (Git)
Lonzo Westphal (Geige)
Rudi Ratlos (Geige)
Jean-Jacques Kravetz (Keys)
Gigo Seelenmeyer (Banjo)
Chris Herrmann (Trompete)
Rainer Regel (Sax)
Bolle Burmeister (Sax)
Olaf Lübler (Sax)
Peter Herbolzheimer (Posaune)
Wolfgang Schmitz (Posaune)
Johnny Müller (Chromonika)
Inga Rumpf (Stimme „Rocker-Mädchen“)
Otto Waalkes (Stimme „Cowboy-Rocker“)

Der Honky Tonk Kinderchor

Ahua-Chor:
Werner Burkhardt
Hans-Otto Mertens
Bernd Bulle
Heinz-Peter Meyer
Hans Scheibner
und die Mäusesingers


Produktion:
Udo Lindenberg
Thomas Kuckuck
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So bewerten wir:

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06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
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