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The Electro Swing Revolution Vol. 5

Info Musikrichtung: Electro Swing VÖ: 31.10.2014 (Lola’s World Records/ Soulfood ) Gesamtspielzeit: 152:34 Internet: http://www.lolasworldrecords.com

Ein Phänomen der letzten anderthalb Jahrzehnte ist, dass neue Musikstile im eigentlichen Sinne kaum noch ausmachbar sind und stattdessen eher Stile kombiniert werden. Dabei wird sich oft auf ursprüngliche Tanzmusikstile zurückbesonnen und diese werden in Kontext zu neuen Entwicklungen gestellt. So spielt der Reggae-Vorläufer Ska in Verbindung mit dem weitaus späteren Hip Hop oder Punk eine wichtige Rolle im Mestizo-Sound und noch deutlicher ist es im Electro Swing. Die Kombination von alten Jazztanzstilen mit Clubmusik geht im Grunde schon auf Entwicklungen der 1990er Jahre zurück. Frühe Vertreter sind Nu-Jazzer wie St. Germain und auch bei den Electro-Poppern Yello finden sich seit jeher vergleichbare Ideen. Richtig bekannt wurde die Bewegung aber erst in den letzten Jahren mit großen Events z. B. in Berlin und Leuten wie Parov Stelar oder Johannes Heretsch a.k.a. DJ Louie Prima, dem Initiator der „Electro Swing Revolution“-CD-Reihe, die nun schon die fünfte Ausgabe vorlegt. Prima betätigt sich hier als Compiler und Mixer der Doppel-CD, der andere DJ ist Gülbahar Kültür vom WDR Funkhaus Europa.
Das Spektrum reicht von neu eingespielten Gesangsnummern im Stil der Swingzeit bis zum Remix alter Swingaufnahmen, meist versetzt mit pumpenden House Beats bzw. Bassdrum. Tanzstile der Swing-Zeit wie Charleston, Lindy Hop, aber auch Richtungen wie Gypsy Jazz oder Ragtime werden hier wieder zum Leben erweckt oder - zu Tode gesampelt. Entsprechend verlaufen die Mixes der beiden CDs von Swingnummern mit verstärktem Beat bis hin zu House-Nummern, in denen Swing-Versatzstücke nur noch rudimentär zu erkennen sind. Den traditionellen Swing-Fans dürfte dies ein Graus sein. Mit den kompositorischen Abläufen und kunstvollen Arrangements eines Duke Ellington oder Glenn Miller hat dies hier wenig zu tun. Electro Swing ist eher eine Collage von Versatzstücken des Swing mit einer Überbetonung des Tanzrhythmus. Die toleranten unter den Traditionalisten könnten aber auch ins Staunen geraten, wie fetzig z. B. Nummern der Mills Brothers aus den Vierziger Jahren plötzlich klingen können und dass der Swing plötzlich nicht mehr allein Großpapas Musik ist.
Auffallend ist, dass die Stücke relativ songorientiert sind, was Instrumentalparts oder Unisono-Gesang aber nicht aus schließt. Sängerinnen geben bei den Vokalstücken überwiegend den Ton an. Der Rhythmus ist zwar schnell und geradlinig, aber weniger variabel als in der Swing-Zeit. Die daraus folgende rhythmische Standardisierung ist den fließenden Übergängen des Gesamtmixes geschuldet. Während manche Titel genauso gut als Swing Pop á la Vaya Con Dios durchgehen könnten, sind geloopte Samples, Effekte wie Auto-Tune, Filterungen, Scratchen oder getriggerte Vocals die eigentlichen Stilmittel, die den elektronischen Teil ausmachen. Dabei gelingt die Melange am besten, wenn die Swing-Elemente und der Songcharakter weitgehend erhalten bleiben und lediglich eine Betonung des Beats stattfindet. Wie effektiv man damit z. B. Gypsy Jazz pimpen kann, zeigt die Aufnahme der rumänischen Roma-Sängerin Rona Hartner. Der Kontrast zwischen uraltem Sound und moderner Elektronik hat etwas Reizvolles, etwas Überraschendes. Andererseits gab es ja auch mal die Tendenz, alte Schwarz-Weiß-Filmklassiker elektronisch nachzukolorieren, was unter Regisseuren einen Sturm der Entrüstung auslöste. Beim Electro Swing liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Zum Reinhören empfiehlt sich der Klassiker „Minnie The Moocher“ von Lian Roos feat. Alan Alvarez. Dieser fingerschnippende Swing und der unbezwingbare Refrain wirken auch hier noch immer. Die Auswahl an 40 Nummern gibt einen guten Überblick und deutsche Projekte wie Whiskydenker & Die Swingblüten könnten einem fast glauben machen, dass die Zwanziger Jahre noch mal en vogue sind.

Hans-Jürgen Lenhart