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Reviews

Rio Reiser

Original Album Classics


Info

Musikrichtung: Deutsch Rock

VÖ: 06.06.2014 (1986-95)

(Columbia / Sony)

Gesamtspielzeit: 225:23

Internet:

http://www.rioreiser.de

Rio Reiser ist offenbar eine echte VIP. In Berlin wird er sogar mit einer offiziellen „Berliner Gedenktafel“ aus feinem KPM-Porzellan geehrt. Ob er das seinem Riesenerfolg mit dem „König von Deutschland“ verdankt, oder seiner Zeit bei der Polit-Anarcho-Band Ton Steine Scherben, sei dahin gestellt. Die Aufschrift auf der Tafel an dem Haus in Kreuzberg, in dem Reiser von 1971 bis 1975 mit der Musikerkommune gelebt hat, weist auf letzteres hin, was sicher auch der größeren (kultur)politischen Bedeutung der Scherben entspricht.

Kommerziell erfolgreicher war dagegen die Solo-Karriere des 1950 als Ralph Christian Möbius geborenen Sänger und Komponisten. Sie wird in diesem Box-Set fast vollständig präsentiert. Warum Sony hier allerdings 5 seiner 6 Studio-Alben präsentiert und das Album Blinder Passagier von 1987 ausklammert, statt zwei 3-er Boxen herauszubringen, die in der Original Album Classics Reihe durchaus Tradition haben, bleibt ein Rätsel.

Als 1986 Rio Reisers Solo-Debüt erschien, dürften Kritiker und viele alte Scherben Fans gespannt geschaut haben, was der Alt-Anarcho solo zu sagen hat. Der Blick auf die Texte, der bei dem Solo-Album eines Ton Steine Scherben Mitglieds ja mehr als legitim ist, lässt Rio I. aber eher unbedeutend erscheinen. Von dem alten Scherben-Ansatz lässt maximal der „Menschenfresser“ etwas anklingen und ist mit seinem treibenden Rock-Pop auch musikalisch das Highlight des Reiser-Debüts.
Daneben stehen als mitreißende, deutlich auf den NDW-Trend schielende Treffer „Alles Lüge“ und natürlich Rio Reisers Signature Song, der „König von Deutschland“.
Textlich kann sich das Liebeslied „Junimond“ immerhin hören lassen.

Neben „Lass uns das Ding drehn“, ist ansonsten vor allem das ausgefuchste „Lass mich los“ noch erwähnenswert. Mit einem Sound, der an Polices Synchronicity erinnert, wird ein leichter, recht synthetischer Reggae-Sound inszeniert, dem Synthie Fanfaren immer wieder treibende Power verleihen.

Insgesamt ist Rio I ein unterhaltsames Pop-Album, das sich dem Synthiesound der 80er öffnet, ohne sich von ihm vereinnahmen zu lassen. Mit drei Top-Songs im Kader lässt sich die relativ große Anzahl von Durchschnittsware halbwegs ausgleichen. (15 Punkte)

Genau diese Ausgleiche fehlen dem dritten Album ***, in der Regel „Sternchen“ genannt. (Das zweite Album Blinder Passagier fehlt – wie bereits gesagt – in der Box.) Lediglich „Geld“, das auch im Schimanski Tatort Der Pott Verwendung fand, weiß mit Wortwitz und einem packenden Synthie-Rhythmus zu überzeugen. Daneben stehen ein paar akzeptable Nummern, aber auch einiges an Ausschuss, wie der belanglose Plastikpop „Montag“ oder das nichtssagende „Was weiss ich“.
Ganz nett ist der Synthie Pop-Song über den westlichen Teil der Berliner „Sonnenallee“. „Signale“ könnte ein Filler auf einem späten Spliff-Album sein, während sich das walzerartige „4 Wände“ eher in Richtung Reinhard Mey bewegt.

Bestenfalls zwiespältig. (12 Punkte) Wer die Maxi-Version der Single „Geld“ kennt, wird an dieser Stelle das Fehlen von Bonus Tracks bei diesem Box-Set besonders bedauern.

Mit Durch die Wand kriegt Rio noch mal die Kurve. Das Album ist weniger synthetisch, zeigt punktuell fast metallische Härte und es wird wieder politischer.

Die beiden Top Songs eröffnen das Album. Der packende Rock-Pop „Jetzt schlägts Dreizehn“ ist mit seinem bombastischen Arrangement ein echter Hit. Der Text könnte sich (Reiser liebt es sich kryptisch auszudrücken.) auf das Zechensterben beziehen. Der Antikriegssong „Der Krieg“ ist dafür zur Zeit des Irakkriegs sehr deutlich. Der relativ sparsame, oft wiederholte Text entfaltet eine beschwörend beklemmende Atmosphäre.
Stark ist auch der Titelsong, der vom Text her durchaus an die Scherben erinnert und musikalisch in die Richtung eines schleppenden Doom Metals geht. Das kraftvolle „u.s.w.“ gibt sich ebenfalls politisch.
Zumindest interessant ist „Du bist es“, der eigentümlich literarische Angesang eines Dus, das für das Ich alles sein kann, ohne das seine Identität klar wird (Gott, die große Liebe, das Leben an sich…???). Das sich eher durch Atmosphäre als Komposition auszeichnende Stück schmückt sich mit einem indisch anmutenden Soloteil.

Ein Album, auf dem sich einiges entdecken lässt. (14 Punkte)

Mit Über alles erreicht das Werk Rio Reisers seinen Tiefpunkt. Selbst der Scherben-Klassiker „Irrenanstalt“ wird hier bis zur Irrelevanz zersägt. Er ist aber gemeinsam mit dem auf Berlin gemünzten „Inazitti“ zumindest noch ein Naja-Song. Am Ende wird mit „Im Süden“ und dem nicht gelisteten „Queen der Bahnhofsstraßen“ zumindest noch mal ein wenig Gesellschaftskritik geübt. Ob die Queen erst hier im Box-Set als Bonus erscheint, oder schon auf der Original-CD, lässt sich aufgrund vollständig fehlender Liner Notes nicht sagen.

Ein Album so eindimensional, wie das CD-Artwork. (10 Punkte)

Es ist nicht das Vorhandensein von Top Songs, das bei Himmel & Hölle“ zu einer besseren Wertung führt, sondern eher das Fehlen völliger Ausfälle. Dabei reicht das Spektrum seiner Songs vom depressiven „Eislied“ über den relativ unbekümmerten Reggae „Straße“ bis hin zu den dramatischen Soundkulissen von „Hoffnung“. „Erdbeben“ lässt mit seiner dezenten Kritik an der Allmacht des Geldes mal wieder kritische Töne zu, während sich das ruhige „Der Junge am Fluss“ mit Klarinette naturnah gibt.

Das Album, das recht häufig mit dramatischen Soundkulissen arbeitet erhält 12 Punkte



Norbert von Fransecky

Trackliste

Rio I. (1986)

1 Alles Lüge (4:15)
2 Lass uns das Ding drehn (3:42)
3 Für immer und Dich (5:35)
4 Menschenfresser (3:58)
5 Junimond (4:01)
6 König von Deutschland (3:37)
7 Lass mich los (4:46)
8 So allein (3:33)
9 Ich leb doch (3:26)
10 Bei Nacht (6:05)


*** (1990)

1 Aschermittwoch (3:53)
2 Montag (3:35)
3 Zauberland (3:36)
4 Sonnenallee (3:45)
5 Geld (4:02)
6 Herbst (2:33)
7 Signale (3:31)
8 4 Wände (2:46)
9 Was weiss ich (3:01)
10 Dahin (3:16)
11 Alles (4:03)
12 Sternchen (4:15)


Durch die Wand (1991)

1 Jetzt schlägts Dreizehn (3:14)
2 Der Krieg (3:50)
3 Nur Dich (4:20)
4 So heiß (3:58)
5 Zu hause (4:16)
6 u.s.w. (2:51)
7 Durch die Wand (6:07)
8 Kneipe (4:43)
9 Du bist es (4:30)
10 Nach hause (3:33)


Über alles (1993)

1 Mitten in der Nacht (3:56)
2 Wart's ab (3:48)
3 Nimmst Du mich mit (3:31)
4 Okay (4:18)
5 Far up (3:17)
6 Irrenanstalt (3:57)
7 Inazitti (3:35)
8 Wohin gehn wir (4:17)
9 Neun99zig (4:12)
10 Mhm (3:23)
11 Du - Über alles (3:44)
12 Im Süden (3:34)
13.1 * Pause * (3:20)
13.2 Queen der Bahnhofsstraßen (4:38)


Himmel & Hölle (1995)

1 Irrlicht (5:23)
2 Eislied (2:45)
3 Straße (5:11)
4 Streik (3:54)
5 Gefahr (3:02)
6 Erdbeben (4:16)
7 Der Junge am Fluß (3:26)
8 Hoffnung (4:19)
9 Träume (6:38)
10 Schlacht (3:14)
11 Himmel und Erde (3:14)
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So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger