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Die Sieben Todsünden
Info
Musikrichtung:
Ballett / Musiktheater
VÖ: 07.06.2004 Hänssler Classic / Naxos CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. 93.109 Gesamtspielzeit: 60:53 |
VERFÜHRERISCHE TODSÜNDEN
So klingen sie also, die Todsünden! Dieser musikalischen Versuchung gibt man freilich nur allzu gerne nach: Kurt Weill jongliert in seinem „Ballett mit Gesang“ Die Sieben Todsünden (1933) derart gekonnt mit Elementen der U- und E-Musik, dass ich darüber das sozialkritische Libretto zuerst gar nicht so recht wahrgenommen habe!
Jaja, Adorno wusste eben genau, wovon er sprach: Die Affinität zu Kommerz und Verflachung ist bei der Unterhaltungsmusik einfach immer gegeben, mag sie noch so eindeutig zweideutig als Camourflage einer hehren Botschaft dienen. Und die Zeit zieht schließlich auch dem Bissigen und Widerständigen die Ironie-Zähne.
Erst recht muss sich jede Doppelbödigkeit verlieren, wenn man sich undialektisch dem sinnlichen Kitzel überlässt: Die Aufklärung schlägt um ins Gegenteil, man lehnt sich angenehm musikalisiert zurück und ist mit sich und seiner kleinbürgerlichen Weltsicht mal wieder ganz regressiv glücklich.
Na! Glaubt man Weill und seinem Autoren Berthold Brecht, dann ist dem Kleinbürger die Todsünde nur deshalb eine Todsünde, weil er nicht die Freiheit hat, sie zu begehen. Begehen freilich muss er sie, will er in diesem irdischen Jammertal vorankommen. Voran zu Erfolg und Ansehen, die zwar mit schlechtem Gewissen erworben und ergaunert sind, im Namen des Gott-Sei-Bei-Uns aber dann doch genossen werden.
Tja, dann nehmen wir uns mal bildungsbürgerlich die Freiheit, diese Musik schön zu finden und zu genießen!
ANNA AUS LOUISIANA
Abgesehen davon: Es geht um die junge Anna aus Louisiana, die von ihrer Familie durchs gelobte Land Amerika geschickt wird, um dort als Tänzerin deren Eigenheim-Glück zu machen. Fleißig soll sie sein, nicht stolz, auch nicht verfressen. Keusch, oh aber gewiss doch! Und bloß nicht gierig und nicht neidisch. Anna ist und tut das alles und auch mal umgekehrt, je nach den erfolgversprechenden Umständen. Wie gut, dass Anna da auch gleich zwei sind: Nicht wahr, Anna? Ja, Anna! Schizophrenie stärkt in solchen Situationen bekanntlich den todsündigen Charakter. Und ach, nach sieben Jahren kehrt Anna heim ins schöne neue Eigenheim, Ende gut, alles gut.
Anna ist in diesem Fall Anja Silja. Die Sopranistin blickt inzwischen auf eine fast 50jährige Bühnenkarriere zurück! Von Wagner bis Weill reicht ihr Repertoire. Die Erfahrung mit dem sehr speziellen Idiom dieser Musik merkt man ihr an. Bei guter Textverständlichkeit gelingt ihr die Balance zwischen leichter Song- und prägnanter Opernstimme vollkommen. Und von gelegentlichen Schärfen in der Höhe abgesehen klingt Siljas Stimme so frisch, dass man ihr mit Lust zuhört.
Ihre jüngeren Kollegen Julius Pfeiffer, Alexander Judenkov, Bernhard Hartmann und Torsten Müller sekundieren Silja als moralisierendes Familienquartett auf gleichem Niveau. Ihre Predigten, im süffigen Choral- und Motettenton gehalten, hätten inzwischen sicherlich auch auf jedem Kirchentag Erfolg!
Bleibt nur noch, auch das SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern für seine ebenso pointierte wie klangvolle Darbietung zu loben. Von diesen Qualitäten kann man sich auch beim zugegebenen Quodlibet aus der Pantomime „Zaubernacht“ (1922) überzeugen. Musiktheater für Kinder. Vorsicht: Hier soll man genießen!
Georg Henkel
Trackliste
10-13 Quodlibet op. 9 aus der Pantomime „Zaubernacht“ op. 4
Besetzung
Julius Pfeifer – Alexander Yudenkov, Tenor
Bernhard Hartmann, Bariton
Torsten Müller, Bass
SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern
Ltg. Grzegorz Nowak
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |