Reviews
Voices of Nature
Info
Musikrichtung:
Chor
VÖ: 11.09.2004 BIS / Klassik Center Kassel CD DDD (AD 2000) / Best. Nr. BIS-CD-1157 Gesamtspielzeit: 58:40 |
CHORSINFONIE DER POSTMODERNE
Man mag von der musikalischen Postmoderne halten, was man will: In diesem Fall ist es wieder einmal kaum möglich, sich ihrer suggestiven Wirkung zu entziehen. Bereits die ersten Takte von Alfred Schnittkes (1934-1998) 16-stimmigen „Concerto for Choir“ lassen einnehmend archaisierende Harmonien wie Nordlichter aufstrahlen. Das Werk über Worte aus dem „Buch der Lamentationen“ des georgischen Dichters Matyan Vikhperkutyan aus dem 10. Jahrhundert entfaltet sich dann über 40 Minuten mit großer Ruhe; seine Dramatik bezieht es aus seiner kraftvollen, dissonanzgeschärften Harmonik und einprägsamen chromatischen Stimmführungen. Vor allem im hymnischen ersten Teil macht sich der Einfluss der russischen Orthodoxie bemerkbar: Eine dunkle Basslinie grundiert die kleingliedrigen, kreisenden Melodien; Orgelpunkte und Terzparallelen formen ein breit strömendes Klangband. Aber auch die Musik der Renaissance hat hier mit Palestrina und Gesualdo Pate gestanden. Insgesamt ergibt das eine Mischung, die durchaus auch ihre geschmäcklerischen Seiten hat.
Die Grundstimmung der Musik ist ernst, geradezu düster. Erst nach dem Tode des Komponisten wurde das Werk auch im Westen verlegt; Schnittke hatte Sorge, dass westliche Chöre es an religiöser Inbrunst missen lassen würden.
Im Fall des Schwedischen Rundfunkchores ist diese Befürchtung unbegründet. Unter der engagierten Leitung des estnischen Dirigenten Tõnu Kaljuste stellt das 33-köpfige Ensemble seine überragenden Qualitäten einmal mehr unter Beweis: die Homogenität der Stimmen, die Wärme und Fülle des Klangs, die vorbildliche Artikulation, eine flexible Stimmführung und große dynamische Bandbreite. Davon profitiert auch das zweite Schnittke-Stück dieser CD, das für Frauenstimmen und Vibraphon gesetzte, wesentlich knappere Voices of Nature: ein zehnstimmiger Kanon, der noch aus der avantgardistischen Phase des Komponisten stammt und von der Mikropolyphonie eines György Ligeti inspiriert ist. Die Gesamtwirkung mag insgesamt abstrakter sein, doch was die einnehmenden, im Vergleich zum Vorbild geglätteten Klangwirkungen angeht, steht diese Komposition dem Chorkonzert nicht nach.
Drei kurze Chorwerke von Arvo Pärt (*1935), der mit seinem streng organisierten, repetitiven Tintinnabuli-Stil häufig einen ganz ähnlich ätherisch-erhabenen Eindruck wie Schnittke erzielt, runden die Produktion ab (zu Pärts Musik siehe auch diese Review).
Georg Henkel
Trackliste
05 Schnittke: Voices of Nature (1972) 04:05
06 Pärt: Doppo la Vittoria (Piccola cantata, 1996/98) 09:06
07 Bogoróditse Djévo (1990) 00:57
08 I am the true vine (1996) 04:20
Besetzung
Ltg. Tõnju Kaljuste
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |