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P16.D4

Passagen (Boxet)

Info Musikrichtung: Klangkunst / Sampleing / Elektronik / Crossover VÖ: 31.12.2012 Monotype Rec (www.monotypecords.com) Internet: http://www.monotypecords.com googlet ein wenig nach der Band......

Eines vorweg: an dieser Veröffentlichung sollten sich mal alle kommerziellen Künstler eine Scheibe abschneiden. Es geht nämlich auch anders als alle 5 Jahre neue Jubiläumseditionen mit unnötigen Extras oder die 27.te definitive Remasteredition ohne weiteren Mehrwert zu veröffentlichen.
Passagen der deutschen Klangkunst, Sample und Experimentalband P16.D4 stellt nicht weniger als das Gesamtkunstwerk dieser von Anfang der 80er bis Anfang der 90er Jahre aktiven Pioniere dar. Allein mit der Auflistung der auf den 6 CD´s und einer DVD enthaltenen Materialien kann ich hier Seiten füllen.
Doch starten wir am Anfang: P16.D4? Kennt kein Mensch? Das ist wohl leider richtig und liegt darin bedingt, das diese Musiker Ende der 70er aus dem Punk und Elektro kommend an der Kreuzung zwischen Wave, Postpunk, Elektropop und ja, der Neuen Deutschen Welle die geheime 5. Spur Richtung Experimental und Klangforschung gingen. Joachim Stender, Ralf Wehowsky, Stefan Schmidt sowie weitere wechselnde Mitstreiter begaben sich fortan auf die Suche nach Klängen, welche sie mit moderner Aufnahme und Wiedergabetechnik zu Klangkunstwerken auf Band, aber auch Live verarbeiteten. Im Vergleich zu ähnlich gearteten Pionieren wie z.B. den Einstürzenden Neubauten verließen sie jedoch den Rock und Popkontext, verzichteten auf offensichtliche Melodien und erschufen so Klanglandschaften, die sicher nicht nur den modernen Elektronik- und Experimentalsektor beeinflussten, sondern neben innovativen Bands aus der Alternativeszene (Legendary Pink Dots, Current 93, Steven Stapelton, Merzbow und andere) auch bekannte Acts wie z.B. Depeche Mode oder aber auch Acts aus dem Tekknobereich inspirierten und beeinflussten.
Die Arbeiten der Band zu beschreiben ist relativ unmöglich. Die Band baute oftmals auf dunkle elektronische Klänge Ihre Soundwelten auf. Diese Soundwelten entstammten den unterschiedlichsten Richtungen, Umweltgeräusche, elektronisch erzeugte Backfeeds oder anderes und auch sich widerholende Stimmeinlagen. Natürlich auch klirrendes Metall und Glas, Werkzeuge (Hämmer, Bohrmaschinen etc.) und anderes. Ein kleines nicht repräsentatives Beispiel mag das Eröffnungsstück der ersten LP (und auch hier 1. CD) sein. Dunkle elektronisch verzerrte Pianoklänge dröhnen, das rauschen der Elektronik wird bewusst nicht unterdrückt. dann wird irgendetwas auf denBoden geschmissen und zerschellt , kreisende Elektronik taucht auf und ein Original Chor wird eingespielt, der irgendetwas nach einer alten Volksweise klingendes widergibt. So entsteht ein dunkler Soundscape, ein Kopf Film, den man an der harten Grenze zum Geräusch setzen muss, aber dank seiner eingesetzten musikalischen Elemente eben doch noch nach einer Art klassischen Musik klingt. Am Ende taucht dann noch ein wilder, elektronisch verfremdeter Schlagzeugrhythmus auf, der den Weg Richtung Tekkno vorausahnen lässt. Aufgenommen Ende 79, muss man dann dabei sagen.
Auf den weiteren Veröffentlichungen perfektionierte die Band Ihre Philosophie: „Cut Ups, Richtungsänderung, Geschwindigkeitsänderung, Bandknittern, Harmonisierung, Over-dubbing…“ und schuf auch in Zusammenarbeit mit vielen anderen Künstlern einen Klangkosmos. der wohl einzigartig ist.
Interessenten an dieser Form der Klangerzeugung möchte ich diese Box besonders ans Herz legen, da sie einen perfekten und auch kompetenten Einstieg in diese Welt darstellt.
Für Vorinformationen empfehle ich im Web zu stöbern, es gibt da einige Informationen und auch Möglichkeiten, in Dinge hinein zu schauen oder zu hören. Endscheidet man sich für die Box, bekommt man ein hochformatiges Booklet mit reichlich Informationen zu den Künstlern, einer kompletten Diskographie und mehr. Und dies alles trotz einer kunstvollen Gestaltung gut Lesbar.
Die veröffentlichten Alben, die so schöne Namen tragen wie Kühe in 1/2 Trauer oder Nichts. Niemand. Nirgends. Hier. sind in dieser Box alle enthalten, dazu mit Bonusstücken von Kassetten oder sonstigen Samplerveröffentlichungen oder auch den EP Veröffentlichungen der Vorgängerband ergänzt. Alle Alben wurden in neu gestaltete Digipacks verpackt, so das mit dieser Veröffentlichung ein wirkliches Gesamtkunstwerk entsteht. Besonders interessant ist die beigelegte DVD Ethereal Ephemera, welche in 2 Sektionen aufgeteilt ist. Sektion 1 bietet mit Captured Music Ton und Bildaufnahmen von Band und Sideprojekten. Empfehlenswert z.B. der 2 Minuten lange "Acrid Addled Azur Teil. hier bekommt man dann zu sehen, das vieles, was man dem Synthie entstammen zu glaubt auf ganz andere Weise entsteht. Hier ist es ein offener Flügel, auf dessen Seiten Mikrophone liegen und welche dann mit Haarschneidern, Tonabnehmern oder ähnlichen bearbeitet werden, wobei dann ein perkussive-psychedelischer Soundmix entsteht. Auch gibt es hier Texteinspielungen, die ein wenig die Intension hinter dem Sound erklären.
Die 2. Sektion bietet 4 Filme, die zu den Stücken "Luxus im Mehrwert", "Les Honestuses Alliances" und "Kühe in 1/2 Trauer" sowie dem noch unveröffentlichten "Improvisation Jan 1987" gedreht wurden. Hier gibt es natürlich nicht weniger experimentelles Bildmaterial, als es der Ton vorgibt. Die "Improvisation" zeigt noch konventionelle Bilder von eben Selbiger, die anderen Sounds werden mit verszerrten, teils verstörenden Bildwerk umgesetzt.
Ich wiederhole mich da gerne: eine grandiose Veröffentlichung, bei der das komplette Konzept stimmt und eine absolute Symbiose aus Artwork und Inhalt gefunden wurde. Eine überaus gelungene Würdigung an Pionieren, die leider sehr unbekannt sind.
Ich empfehle diese Box an alle Musikneugierigen, die gern mal komplett abseits suchen. Auch Musikhistorikern sei diese Box empfohlen - die vorhandenen Fans werden sowieso kaufen.
Gäbe es die Wertung, würde ich 25 geben......

Wolfgang Kabsch