Reviews
Here for the party
Info
Musikrichtung:
Country / New Country
VÖ: 04.06.2004 (Sony Nashville) Internet: http://www.gretchenwilson.com |
Eine Newcomerin zog in diesem Sommer wie ein Blitz an den um die Hörergunst kämpfenden etablierten Countrystars vorbei und setzte sich auf Platz 1 der Country-Charts, sowohl mit ihrer Single als auch mit dem dazugehörigen Album. Und damit war die Sensation perfekt, denn seit Jahren war ein derartiger Erfolg einer Debütantin vorenthalten geblieben. Folglich dürfte es sich lohnen, die Lady und ihr Gesangstalent ein wenig unter die Lupe zu nehmen - wenn da nicht dieser archaische Vornamen wäre, der in Deutschland (mit Recht) seit Generationen ausgestorben ist, aber in Zusammenhang mit einer hübschen jungen Dame wieder zu neuem Leben erweckt wird. Gerade als Radio-Moderator hat man mit den vielfältigen Möglichkeiten der Aussprache schon seine liebe Not, doch das soll uns bei einem Printmagazin wie dem unseren am wenigsten stören.
Im Einzelnen:
Als Opener dient der Titeltrack des Albums, der die Hörer bereits in den ersten zwanzig Sekunden darüber aufklärt, dass hier keine Pop-Amazone im Grenzgebiet zur Countrymusic räubert, denn die sofort präsente Fiddle legt bereits den Trend fest, und dann diese Stimme! Ein wenig befremdlich wirkt es schon, wenn die Stimme der Sängerin ohne technischen Feinschliff durch die üblichen Hundertschaften digitaler Bearbeitungsgeräte ihren Weg durch den Background schlägt. Es klingt, als würde Miss Wilson einen Meter vor mir sitzen und mir den Text direkt ins Gesicht singen. Ja, das ist es! Das ist Country, direkt und schnörkellos! Dazu eine rockige Melodie und ein Text, der belegt, dass die junge Dame die Countryszene von unten, also von der Redneck-Basis aufrollen will. Das macht Lust auf mehr.
Und diese Lust wird befriedigt mit ihrem ersten Hit "Redneck woman", der thematisch sehr gut zum Vorgänger passt, aber über einen knackigeren Rhythmus verfügt. Man glaubt ihr jedes Wort des Textes - dass sie sich nicht verbiegen lässt - und zur Unterstützung schreit eine gutgelaunte Menge weiterer "Redneck women" ihr "Hell yeah" ins Mikrofon. Ein Song, der auf keiner Country-Party fehlen sollte und es in den USA auch wohl nicht getan hat, denn woher sollten sonst die enormen Umsatzzahlen stammen. Aber die Partycrowd allein kommt bei diesem Album nicht auf ihre Kosten, denn bereits Song Nr. 3 "When I think about cheatin'" löst ein wenig Verwunderung aus. Das Intro erinnert sehr stark an Alan Jackson's Balladen und zeigt eine völlig andere Gretchen Wilson. Dieser Song könnte genauso gut von älteren Countrygrößen gesungen werden, so zeitlos ist dieser von der Sängerin selbst geschriebene Titel, die übrigens an so gut wie allen Stücken mitgeschrieben hat. Auffällig ist, wie tief in den Countryroots sie steckt, und das ist bei der ständigen Pop-Orientierung der Countryszene eine Eigenschaft, die man nicht hoch genug würdigen kann. Eine Konkurrentin nimmt sie sich bei "Homewrecker" vor und versucht, sie von ihrem Mann zu vertreiben. Ein rockiger, aber nicht zu schneller Groove und kraftvolle Gitarren, verbunden mit der selbstbewussten und kraftvollen Stimme lassen den Sieger schon erahnen. Die Toughness, die aus ihrer Stimme klingt konnte sich Gretchen in ihrem bisherigen Job als Kellnerin erarbeiten. Gottlob mal wieder jemand, der selbst erlebt hat, was er bzw. sie singt.
Ein getragener 6/8-Rhythmus bestimmt "Holdin´ you", dessen relativ dezente Instrumentierung die Stimme gut hervortreten lässt. Gelegentlich erinnert diese an die Damen der Dixie Chicks. "Chariot" bringt die Südstaaten-Roots klar und eindeutig heraus, denn der bluesige Background mit Gospel-Garnierung versetzt den Hörer sofort ins Mississippi-Delta. Ein atmosphärisch dicht gewebter Song, in den Miss Wilson anscheinend ihr Herz und ihre Seele legte. Absolut gut gelungen. Und schon wieder ist sie in der Abteilung der Country-Balladen angelangt, denn "What happened" zeigt, dass diese lebendige Stimme einen ganzen Song tragen kann. Man freut sich auf jedes gesungene Wort und die jeweilige Variante: mal rau, mal soft. Damit die Abwechslung nicht zu kurz kommt, ist bei "When it rains" schon wieder ein Groove angesagt, der direkt in die Beine geht. Auch dieser Song stammt aus Gretchen Wilson´s Feder, die bei diesem Album unter anderem Unterstützung von John Rich und Big Kenny fand, die früher bei Lonestar ihre Lorbeeren verdienten und nun als Duo "Big & Rich" eigene Charterfolge feiern dürfen. Dass man nicht nur der Stimme lauschen, sondern auch auf den Text achten sollte, wird nicht nur bei "The bed" dringend angeraten. Hier wird die verschiedene Ansicht einer Beziehung thematisiert, da der eine Partner die Beziehung für gut hält, während der andere die Insolvenz der Zweisamkeit sieht. Auch dieser Song belegt die Tiefe des Albums. Hier werden keine Oberflächlichkeiten verarbeitet, weder musikalisch noch textlich. Und die Ruhe des Songs lässt den Text tief atmen.
So sei es Gretchen Wilson beim letzten Song "Pocahontas proud" auch gegönnt, dass sie sich selbst als die größte Sache bezeichnet, die ihre Heimatstadt Pocahontas, Illinois, jemals hervorgebracht hat. Angesichts der 700 Einwohner dieses Ortes dürfte es sich noch nicht einmal um Hochstapelei handeln. Zudem dürfte man an einer Frau, die ein derartig gutes Album abgeliefert hat, kaum vorbeikommen. Ein Song, der noch einmal alle Register zieht: ein ruhiger Beginn, eine markante Stimme und ein rockiges Ende, denn schließlich ist man Here for the party.
Fazit:
Der Versuch, die Musik dieses Albums genau zu beschreiben, kann nur zum Scheitern verurteilt sein, denn man muss sie einfach gehört haben, die Countrylady, die aus dem Nichts die Charts aufrollte und sich mit Recht an ihre Spitze setzte. Einen Großteil zum Erfolg dürfte auch Erfolgsproduzent John Rich beigesteuert haben. Der Begriff "Tiefe" dürfte im Zusammenhang mit dieser CD wohl recht häufig fallen, denn es ist nicht zu überhören, dass die Sängerin sehr tief in den Countryroots verwurzelt ist und sich dabei auch Parallelen zu "Klassikern" wie Alan Jackson auftun. Doch ebenso tief verwurzelt sind die Texte, die geradeheraus sagen, was "Sache ist" und was man für gut oder falsch hält.
Dass Gretchen Wilson an den meisten der Songs auch noch selbst mitgewirkt hat, untermauert die Authentizität des Albums und der Sängerin. Here for the party ist ein Album, dass man sich durchaus anhören sollte. Und wer es einmal gehört hat, wird es sich auch kaufen. Die Charts sind nicht immer ein Gradmesser für Qualität, aber hier war der erste Platz durchaus angemessen. Genießen wir den Silberling und freuen uns bereits jetzt auf den Nachfolger.
Lothar Heising
Trackliste
2. Redneck woman
3. When I think about cheatin
4. Homewrecker
5. Holdin you
6. Chariot
7. What happened
8. When it rains
9. The bed
10. Pocahontas proud
Besetzung
Gut String: Al Anderson
Bass guitar, baritone: Mike Brignardello, Michael Rhodes
Drums, Percussion: Greg Morrow, Eric Darken
Piano, B3: Steve Nathan, Reese Wynans
Steel: Russ Pahl
Fiddle, Mandolin: Larry Franklin
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |