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Reviews

Anna Netrebko - Recital

Sempre libera


Info

Musikrichtung: Belcanto / Opernarien

VÖ: 09.08.2004

Deutsche Grammophon / Universal Classics
CD DDD (AD 2004) / Best. Nr. 474 8002


Gesamtspielzeit: 68:59

Internet:

Klassikakzente

FRÜHREIFER BALANCEAKT

Bei dieser aufwändigen neuen Spitzen-Produktion balanciert das Marketing der Deutschen Grammophon geschickt zwischen den hierzulande nach wie vor unversöhnlichen Polen E und U: Den klassischen Klassikliebhaber sollen klangvolle Namen wie Claudio Abbado und das Mahler Chamber Orchestra sowie ein solides Belcanto-Programm mit bewährten Nummern der Herren Bellini, Donizetti, Verdi locken. Ganz zu schweigen von dem ansehnlich besetzten vokalen Begleitteam. Da soll wohl nichts schiefgehen, denkt der Klassiker dann. Stand darüber nicht auch was in der Welt am Sonntag? Ich hör’ mal rein.
Den Rest ködert man nach der Devise Sex sells! und mit multimedialer Dauerberieselung. TV-Werbespots im 0190er-Desgin und freizügige Bekenntnisse der russischen Sängerin Anna Netrebko haben sicherlich das ihre dazu beigetragen, ihr aktuelles Recital auf Platz 10 der Pop-Charts zu katapultieren.

Doch anders als bei den inzwischen arg abgesungenen Drei Tenören und der unsäglichen Mischpult-Stimme von Andrea Bocelli hat Anna Netrebko auf Sempre libera auch stimmlich durchaus etwas zu bieten. Ihre gut fokussierte Sopran-Stimme zeichnet blitzende Geläufigkeit und ein silbrig-weißes, leicht kehliges Timbre aus.
Schwierig wird es, wenn man das Charakteristische, Unverwechselbare von Netrebkos Interpretation benennen sollte. Kühle, technische Brillanz ist alles, was den Rezensenten dazu einfällt. Bei einem fraulich-sinnlichen Bühnen-Charakter wie Verdis Violetta wirkt Netrebkos Stimme arg frühreif: zu eintönig sind die Klangfarben, zu undifferenziert die Ausdruckspalette. So erweckt nur Bewunderung für das Virtuosentum, was den Hörer doch vor allem menschlich tief berühren sollte. Gerade die Partien des Belcanto beginnen erst zu leben, wenn die technische Frage nicht mehr im Vordergrund steht bzw. ganz in fein nuancierten Ausdruck sublimiert wurde.
Hier aber tut sich zwischen dem exhibitionistischen Design, das die PR-Abteilung für Netrebko ersonnen hat, und der tatsächlichen Fähigkeit zur stimmlichen Selbstentäußerung eine Kluft auf, die sich auch durch noch so viel inszeniertes Sex-Appeal nicht schließen lässt.
Das ist der Fluch des modernen Marketings: Von Null auf 10 in den Charts, das gelingt heute nur, wenn man auch in die großen Opernpartien hineinspringt, die neben stupender Technik vor allem Erfahrung und eine gereifte Stimme erfordern. Nun steht Anna Netrebko mit 33 Jahren noch am Beginn ihrer Karriere - es steht zu hoffen, dass sie Gelegenheit bekommt, ihre Möglichkeiten organisch zu entwickeln.

In Claudio Abbado und dem Mahler Chamber Orchestra hätte sie dafür sicherlich auch zukünftig zwei perfekte Partner: Der Dirigent weiß das Orchester transparent und biegsam durch die Partitur zu führen und eine wunderbar intime Atmosphäre zu erzeugen. Das ist, angesichts der oft drittklassigen Begleitungen vieler Recitals, weit mehr, als wir erwartet haben!



Georg Henkel & Sven Kerkhoff

Trackliste

Giuseppe Verdi (1813-1901)
La traviata
1.-2.No. 3 Scena ed Aria: “È strano! è strano! - Ah, fors'è lui - Follie! Delirio vano è questo! - Sempre libera"
(Violetta, Alfredo)

Vincenzo Bellini (1801-1835)
La sonnambula
3.-5.No. 12 Scena ed Aria finale: “Ah! se una volta sola rivederlo io potessi - Ah! non giunge uman pensiero"
(Amina, Contadini, Elvino)

I puritani
6.-8.No. 7 Scena ed Aria: “O rendetemi la speme - Qui la voce sua soave - Vien, diletto, è in ciel la luna!"
(Elvira, Giorgio, Riccardo)

Gaetano Donizetti (1797-1848)
Lucia di Lammermoor
9.-12.No. 14 Scena ed Aria: “O giusto cielo! - Il dolce suono - Ardon gli incensi - Spargi d'amaro pianto"
(Coro, Lucia, Raimondo, Enrico)

Giuseppe Verdi (1813-1901)
Otello
13.-15.“Era più calmo?" - “Mia madre aveva una povera ancella - Piangea cantando nell'erma landa - Ave Maria"
(Emilia, Desdemona)

Giacomo Puccini (1858-1924)
Gianni Schicchi
16.“O mio babbino caro"
(Lauretta)

Besetzung

Anna Netrebko, Sopran

Sara Mingardo, Mezzo-Sopran (Emilia)
Saimir Pirgu, Tenor (Alfredo, Elvino)
Nicola Ulivieri, Bass-Bariton (Enrico, Riccardo)
Andrea Concetti, Bass (Raimondo, Giorgio)
Sascha Reckert, Glasharmonika

Coro Sinfonico di Milano Giuseppe Verdi
Chorus Master: Romano Gandolfi

Mahler Chamber Orchestra

Ltg. Claudio Abbado
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