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Voice & Piano – Trombone & Piano – Violin & Piano
Info
Musikrichtung:
Neue Musik Kammermusik
VÖ: 03.09.2012 (MDG / Codaex / 3 CD / 2000-2008 / Best. Nr. MDG 613 1765-2) Gesamtspielzeit: 217:02 |
FRAPPIEREND SCHÖN
Zum John-Cage-Jubiläum 2012 hat MDG aus seinem Backkatalog zwei maßstäbliche Editionen zusammengestellt. Nach dem kompletten Klavierwerk auf 18 CDs ist jetzt eine Box erschienen, die zum 100. Geburtstag des amerikanischen Komponisten (oder Philosophen ... oder Gurus!?) drei weitere Werkreihen in faszinierend dichten und geschlossenen Interpretationen vorstellt. Spiritus Rector ist wie bei der monumentalen Klavieredition der Pianist Steffen Schleiermacher. Zusammen mit befreundeten Künstlern widmet er sich den Werken für Klavier und Stimme, Klavier und Posaune sowie Klavier und Violine mit großer Hingabe und Kennerschaft. Die Einspielungen ergeben zusammen einen großen Querschnitt durch Cages Kammermusik, der von der frühen Satie-Reminiszenz Four Walls bis hin zu einigen der späten Number Pieces reicht, bei denen der Komponist auf die Hilfe des Computers zurückgriff, um das Material und seine Kombinationsmöglichkeiten zu bestimmen. Erstaunlich immer wieder, wie vielgestaltig und sinnlich selbst diese Stücke geraten sind.
Das repetitive, aus wenigen, immer wieder neu kombinierten „Aggregaten“ gebaute Four Walls (1944) ist eine noch traditionell komponierte Ballettmusik für Cages Lebensgefährten, den Choreographen Merce Cunningham. Auffällig sind die sehr langen Stillen, die bis zu einer Minute währen können. Das Stück erzeugt selbst in den schnelleren, rhythmisch pointierten Abschnitten einen Zustand von Zeitlosigkeit, eine Qualität, die vielen Werken Cages zu eigen ist. Es folgt Erik Saties Ästhetik einer weißen Musik sehr konsequent: Es gibt keine „schwarzen“ Töne bzw. Tasten. Von Satie ist auch das in Cages Todesjahr entstandene Two6 für Violine und Klavier inspiriert. Cage benutzt hier als Material u. a. die durch Zufallsoperationen veränderte Basslinie von Saties pianistischer Endlosschleife „Vexatations“. Ganz ätherisch und entrückt klingt das drei Jahre später komponierte Nocturne für Violine und Klavier; es scheint hier, als ob ausgeblichene musikarchäologische Fundstücke aus Romantik und Impressionismus versuchsweise wieder zusammengesetzt worden sind. Auch die an alte irische Volksweisen erinnernden Six Melodies for violin und keyboard erscheinen aus solchen Bruchstücken „rekonstruiert“.
Ähnlich immateriell geben sich die wenigen, ebenfalls frühen Stücke mit Vokalbeteiligung. z. B. A Flower, She is asleep (mit präpariertem Klavier) oder The Wonderful Widow of Eighteen Springs. (Das kurze, absurd grelle Nowth upon Nacht von 1948 bestätigt als Ausnahme die Regel.)
Die Qualität einer absichtslosen, beiläufigen Schönheit findet sich auch bei den späten Number Pieces mit ihren sich überlagernden Zeitklammern. Jeder der Interpreten kann sich frei entscheiden, wann er den vorgeschriebenen Ton, Akkord oder Klang innerhalb der Klammer hervorbringt. Es ist nur ein Zeitraum angegeben, innerhalb dessen das Ereignis beginnen und ein Zeitraum, innerhalb dessen es enden soll. Diese Musik ist meist ausgesprochen kontemplativ und sparsam. Obwohl sie sich manchmal am Rande des Verstummens bewegt, ist sie doch nicht langweilig und monoton. Freilich verlangen diese Stücke auch dem Hörer einiges an Hingabe und die Bereitschaft zur buddhistischen Erwartungslosigkeit und Akzeptanz ab: Two5 für Klavier und Tenorposaune besteht aus fast gar nichts. Und doch wirkt diese von wenigen Aktionen - Einzeltönen des Klaviers, langen Mikrotönen der Posaune - durchwirkte Stille ungemein „spannend“. Das liegt nicht zuletzt an der ambivalenten Harmonik: Das wohltemperierte Klavier setzt seine Klangpunkte gegen die flächigen reinen Posaunentöne und klingt „verstimmt“ (was es ja tatsächlich ist, die Ohren haben sich nur daran gewöhnt).
Two4 ist eigentlich für Violine und japanische Mundorgel - shô -komponiert worden, wenngleich der praktisch denkende Cage eine Ausführung mit Violine und Klavier erlaubt hat. Das Stück wirkt in dieser Besetzung allerdings um einiges konventioneller: Schlichte, verklingende Akkorde gegen eine mikrotonal verfärbte Gegenstimme.
Mit Anna Clementi (Stimme), Mike Svoboda (Posaune) und Andreas Seidel (Violine) stehen Steffen Schleiermacher Mitwirkende zur Seite, die Cages Wunsch nach einer hochkonzentrierten und entsubjektivierten, dabei immer auch schönen Darbietung in jedem Moment entsprechen. Kunstvolle Nicht-Kunst, engagierte Nicht-Intepretation von oft frappierend schöner Musik. Die kundigen und unaufdringlich persönlich gefärbten Kommentare der Interpreten sind überdies kompetente Hinführungen zur Musik.
Georg Henkel
Trackliste
1 | CD 1: Stimme und Klavier | 76:47 |
2 | CD 2: Posaune und Klavier | 72:45 |
3 | CD 3: Violine und Klaiver | 67:30 |
Besetzung
Mike Svoboda: Posaune
Andreas Seidel: Violine
Steffen Schleiermacher: Klavier
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |