····· Wolvespirit verkaufen Bullshit ····· Rock of Ages - Zusatzshows in 2025 ····· Ally Venable veröffentlicht Video zur neuen Single „Do you cry“ ····· Das zweite Album von Wizrd kommt zum Nikolaus ····· 40 Jahre Helloween - Das muss gefeiert werden ·····  >>> Weitere News <<<  ····· 

Reviews

Mozart, W. A. (Harnoncourt)

Requiem D-Moll, K 626 (Fassung Süßmeyer, rev. Beyer)


Info

Musikrichtung: Oratorium

VÖ: 19.07.2004

HMD / BMG Classics / BMG
SACD hybrid (AD live 2003)/ Best. Nr. 82876 58705 2


Gesamtspielzeit: 50:15

AUTHENTISCHER HARNONCOURT

MOZARTS REQUIEM 1982: KLANGREDE À LA HARNONCOURT

Schon als Kind habe er Mozarts Requiem im Orchester gespielt und sei von der Musik tief bewegt gewesen, so der Dirigent Nikolaus Harnoncourt im Beiheft zu dieser Aufnahme.
Seine erste Einspielung aus dem Jahre 1982 mit dem von ihm gegründeten Concentus Musicus legt von dieser Faszination, von dieser Liebe zu Mozarts unvollendetem „Schwanengesang“ Zeugnis ab (wiederveröffentlicht bei Elatus/Warnermusic). Auch wenn diese Liebe für viele Hörer damals sicher verblüffende, vielleicht sogar schockierende Resultate gezeitigt haben dürfte. Doch konstruktive Irritation ist ja seit jeher ein Markenzeichen Harnoncourts und seiner Mitstreiter gewesen: Die historischen Instrumente mit ihrem angerauhten, schlankeren Klang, die Interpretation mit ihren abrupten Kontrasten, scharfen Akzenten und ungewohnt zügigen Tempi - all dies trug dazu bei, unter der verklärenden Patina der Rezeptionsgeschichte plötzlich wieder jene Musik zu entdecken, die selbst ein Beethoven seinerzeit noch als „zu wild und furchtbar“ empfunden hatte. Ein neuer Stil war damit etabliert, den viele Kollegen auf ihre Weise weiterentwickelt haben.

MIT DEN KONVENTIONEN GEGEN DIE KONVENTIONEN!?

2003 haben der gleiche Dirigent und das gleiche Orchester das Werk mit anderen Solisten für das Label HMD noch einmal aufgenommen. Und gemessen an Harnoncourts erster Aufnahme ist es tatsächlich eine Neu-Einspielung geworden, die sich allerdings einer simplen Etikettierung („konventionell“ oder „historisierend“) verweigert.
Es ist eher so, dass Harnoncourt die in die Zukunft weisenden, romantischen Momente im Werk des späten Mozarts deutlicher herausarbeitet und sie mit seiner an der barocken „Klangrede“ entwickelten, klang- und affektgeschärften „neoklassischen“ Lesart zu verbinden sucht. Man hört deutlich, dass der Dirigent sich inzwischen das romantische Repertoire - Schubert, Schumann und auch Bruckner - erschlossen hat.
Harnoncourt hat nicht nur die etablierte Rezeption der Klassiker, sondern auch seinen eigenen Ansatz immer wieder radikal hinterfragt. Dieser Mozart ist hörbar gegen jeden „Akademismus des Authentischen“ musiziert. Ob man den Konventionen damit tatsächlich entgehen kann, ist allerdings die Frage. Dass sich dieses Requiem den Hörerwartungen nicht einfach anbequemt, sondern in vielen Details immer wieder herausfordert und zu Kontroversen Anlass gibt, spricht freilich für die Lebendigkeit der Auseinandersetzung. Also: Geboten wird nicht authentischer Mozart (was immer das sei), dafür aber gewiss authentischer Harnoncourt (und von anderem war bei ihm selbst auch nie die Rede).

SOWOHL - ALS AUCH: ROMANTIK AUS KLASSISCHER PERSPEKTIVE

Von der „Entschleunigung der Musik“, der die historische Aufführungspraxis gerne geziehen wird, keine Spur mehr: Harnoncourt lässt sich diesmal Zeit - mitunter sogar zu viel. Sehr schön geht das Konzept noch beim Introitus auf, der zunächst in spannungsvoller Ruhe erklingt, mit wunderbar weich intonierenden Bassettklarinetten - was den scharf hereinfahrenden Trompeten und Klage-Gesten der Violinen dann entsprechend dramatisches Gewicht verleiht. Die beiden Pole des Werkes, Gerichtsangst und Trost, werden mit Nachdruck inszeniert.
Etwas belanglos schließt sich dann die Doppelfuge des Kyrie an, so als wollte der Dirigent sagen: Eine Fuge ist eine Fuge ist eine Fuge. Die breit gesetzten Schwerpunkte verleihen der Musik zudem eine gewisse Gravität - das Stück ruht in sich selbst, gerät nicht zum apokalyptischen Anlauf auf das anschließende Dies irae. Erst in den letzten Takten läßt Harnoncourt das musikalische Geschehen wie als Vorahnung auf das Kommende kurz auflodern.
Auch sonst wird in dieser Einspielung das musikalische Geschehen in punkto Tempo und Dynamik eher an der langen Leine gehalten - man weiß nie, was hinter dem nächsten Taktstrich passiert. An die Stelle liturgischer „Objektivität“, wie sie von vielen „Historikern“ verfochten wird, tritt bei Harnoncourt wieder eine Subjektivität und Empfindsamkeit des Ausdrucks. Dafür, dass auf kleinstem Raum kontrastreich musiziert wird, muss man allerdings auf den durchgehenden, suggestiven Schwung und die Geradlinigkeit, die man inzwischen vielleicht schätzen gelernt hat, verzichten.

Die Theatralik des Tuba mirum verleiht den solistischen „Nebendarstellern“ in diesem Chorwerk wieder ein deutliches Gewicht: eine Deutung, die hörbar aus der Perspektive von Mozarts Opernensembles kommt. (Man denke z. B. an das Todes-Quartett im „Idomeneo“.) Zur Innerlichkeit solcher Passagen treten dann jene mit „breitem Strich“ musizierten Abschnitte, die vom Schrecken des Jüngsten Gerichts künden (Rex tremendae, Confutatis), in einen spannungsreichen Kontrast.
Übergewichtig wird dieses Konzept dann aber z. B. beim Recordare (selbst Karajan musizierte 1962 schneller). Das schleppende Tempo vernebelt die Struktur der Musik, Pathos macht sich breit: Man hört brucknerisierten Mozart! Genau dagegen war Harnoncourt doch einst angegangen! Und die ständig schwankenden Tempi und Wechselbäder der Affekte, die man schon aus Harnoncourts jüngsten Aufführungen der späten Mozartopern kennt, wirken manchmal geradezu manieriert (z. B. der seltsam „gestemmte“ Schluss des Lacrimosa). Gegen den Strich - das geht offenbar auch mit den Mitteln der Spätromantik.

Alles in allem also eine zwar intensiv ausgehörte und gewiss phantasievolle, aber auch zwiespältige Einspielung von Mozarts Meisterwerk. Das Klangbild der CD-Version bildet die Akustik des Großen Saals im Wiener Musikverein natürlich ab, wirkt beim Tutti allerdings etwas diffus.
Und weil das Werk mit rund 50 Minuten nicht zu lang ist und eine SACD hybrid ganz neue Möglichkeiten bietet, gibt es die Originalpartitur des Requiems noch auf einer CD-Rom-Spur zum Mitlesen als Zugabe.



Georg Henkel

Besetzung

Christine Schäfer, Sopran
Bernarda Fink, Alt
Kurt Streit, Tenor
Gerald Finley, Bass

Arnold Schönberg Chor
Concentus Musicus Wien

Ltg. Nikolaus Harnoncourt
Zurück zum Review-Archiv
 


So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger