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Wonderful Two-Headed Nightingale
Info
Musikrichtung:
Neue Musik Ensemble
VÖ: 20.07.2012 (Col Legno / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2009-2012 / Best. Nr. WWE 40404) Gesamtspielzeit: 58:11 |
HINTERGRÜNDIG EXPRESSIV
Die Wonderful Two-Headed Nigthingale, die einem 2011 vollendeten Doppelkonzert für Violine und Viola von Luke Bedford den Titel geliehen hat, war das singende siamesisches Zwillingspaar Millie und Christine McCoy, das im 19. Jhd. auf Varieté-Bühnen auftrat. In Bedfords Komposition ist diese zweiköpfige Nachtigall das praktisch durchgehend parallel geführte Violine-Viola-Paar. Spannungsvoll und schroff bewegt es sich durch die lichten, dabei vibrierenden Orchestertexturen: unlösbar verbunden und doch von dem Wunsch getrieben, sich voneinander trennen zu dürfen und die klangliche Energie sich einmal in Freiheit entladen zu lassen. Aggressive und widerständige Episoden wechseln in diesem Stück ab mit Momenten von Zartheit und Melancholie. Das führt nicht nur formal und harmonisch zu einer sehr stringenten Musik. Auch im Ausdruck nimmt sich diese Komposition vorwärtsdrängend expressiv aus. Faszinierend, wie es gelingt, diese Ausdruckssphäre bei aller Intensität zugleich abstrakt zu halten.
Der erfindungsreiche Umgang mit einfachen Ausgangsmaterialien und ein hintergründiger, dabei eindringlicher Ausdruck zeichnet auch die anderen Werke auf diesem sorgfältig produzierten Album aus.
By the Screen in the Sun at the Hill on the Gold etwa zieht den Hörer ebenso wie durch die raffinierte Entfaltung einer Arpeggio-Figur und auch durch die mysteriöse harmonisch-klangfarbliche Atmosphäre in ihren Bann. Im Grunde könnte die Arpeggio-Figur aus einem Filmsoundtrack stammen; ihre konstante, mitunter aggressive Wiederholung und Variation suggeriert eine Entwicklung, die auf einen Höhepunkt zuläuft, der dann aber ausbleibt. Die Musik verknotet sich schließlich buchstäblich in sich selbst wie ein in sich zusammenfallendes Netz: ein Knäuel, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Chiaroscuro verweist in der bildenden Kunst auf das vor allem im Barock für dramatische Effekte ausgereizte Spiel von Licht und Schatten. Hier ergibt dieses Spiel mit Licht und Dunkelheit ein quasi-romantisches Klaviertrio. Dabei gewinnt Bedford aus retrospektiven Motiven eine Vielfalt von Gestalten, in denen geisterhafte Gesten und Figuren aus vergangener Kammermusik erscheinen, ohne dass sie als Zitate greifbar würden. Es sind eher Anmutungen, die sich im Zwielicht der Klänge einstellen und sich vor allem zum Ende hin zu ergreifend schmerzhafter Intensität verdichten.
Für Sopran und 16 Spieler ist Or Voit Tout En Aventure komponiert. Die gesungenen Texte stammen aus dem 14. Jahrhundert und wurden ursprünglich von Komponisten der Ars Subtilior vertont. Bedford schafft um diese Preziosen aus alter Zeit einen faszinierenden, vielschichtigen Rahmen, der sich durch subtile Farbigkeit, Strenge und Transparenz auszeichnet, darüber hinaus mit dezent gesetzten Schlagzeugakzenten geheimnisvolle Momente inszeniert. Der dramatische Sopran von Claire Booth wirkt leider etwas angestrengt; vor allem das unruhige Vibrato und ein eher säuerliches Timbre wollen nicht ganz zu der klaren Linienführung der Musik passen.
Ansonsten besticht bei diesem Porträt vor allem im Instrumentalen durchweg die hohe Qualität der Wiedergaben sowie die präsente Aufnahmetechnik. Das Booklet würdigt die Werke und Interpreten ausführlich, Fotos des Komponisten und von Kompositionsskizzen runden die Edition multimedial ab.
Georg Henkel
Besetzung
Jonathan Morton: Violine
Lawrence Potter: Viola
Scottish Ensemble
Ensemble Modern
London Sinfonietta
Sian Edwards, Franck Ollu, Oliver Knussen: Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |