Reviews
Diabelli Variationen op. 120
Info
Musikrichtung:
Klassik Klavier
VÖ: 18.05.2012 (Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / 2010 / Best. Nr. HMC 90291) Gesamtspielzeit: 67:30 |
KLAVIERORCHESTER
Das richtige Tasteninstrument für Ludwig van Beethovens Diabelli-Variationen muss nicht, wie manche Musikologen meinen, erst noch erfunden werden. Ein Hammerflügel um 1800 genügt voll und ganz, vor allem, wenn er so fantasievoll traktiert wird wie von Andreas Staier, der in seiner jüngsten Aufnahme demonstriert, wie man die Essenz der Beethovenschen Musik durch klangliche Spezialeffekte noch betonen kann. Im 19. Jahrhundert schätzten die Liebhaber nämlich Registrierungsmöglichkeiten wie den dämpfenden Moderator, den schnarrenden Fagottzug oder ein eingebautes Schlagzeug, mit dem sich der Klang eine Janitscharen-Kapelle („alla Turca“) imitieren ließ.
So etwas kann schnell in folkloristischen Kitsch abgleiten, aber wie Staier in der Variation Nr. 23 mit ein paar scheppernden Pauken- und Beckenschlägen den überdrehten Etüdencharakter des Stücks handfest transzendiert, ist völlig stimmig, ebenso die plötzlichen näselnden Fagotttönchen in der Don-Giovanniesken Nr. 24. Das lässt aufhorchen, macht die Musik nicht nur einfach spannender - spannend und herausfordernd ist sie schon so genug - sondern bewusster und im rechten Sinne theatralischer. Denn Beethoven variiert nicht einfach nur den schlichten Walzer Diabellis, sondern komponiert Musik über Musik, dekliniert sich durch alle möglichen Spiel- und Stilarten hindurch und spart dabei nicht an Ironie, Spott und Sarkasmus. Das ist eine Meta-Musik für Kenner, oft konstruktivistisch konzentriert bis an die Grenzen zur Abstraktion. Die extremen Temperamentswechsel werden von Staier weidlich ausgekostet und durch die wohldosierten Effekte pointiert. Meist genügt Staier der artikulatorisch ausgereizte ‚Normalklang‘ des Flügels und die passende Tempodramaturgie, zu der auch die wohlgesetzten Pausen oder fließenden Übergänge zwischen den Variationen gehören. Dass das Instrument - ein Nachbau - bei der Attacke und Virtuosität dann und wann an seine Grenzen kommt und im Gehäuse etwas nachklappert (der Janitscharen-Zug?), ist wohl Teil des Konzepts.
Zu dem gehört auch noch eine Auswahl aus jenen 50 Stücken, die der Verleger Anton Diabelli einst von 50 Komponisten über seinen Walzer komponieren ließ. Elf davon, u. a. von Schubert, von Mozarts Sohn Franz Xaver und dem elfjährigen Franz Liszt, finden sich auf der CD. Der Vergleich dieser mal gefälligen, mal virtuosen, geistreichen oder romantische Stücke mit dem altmeisterlich-extremen Beethoven ist gleichermaßen erhellend wie faszinierend. Staier hat noch eine Idee Beethovens aufgegriffen: Als Überleitung zu den Diabelli-Variationen spielt er eine eigene improvisierte Introduktion, die von Beethoven skizziert, aber nicht mehr ausgeführt wurde. Eine Momentaufnahme im Geiste von Beethovens Spätstil.
Selten einmal verbinden sich Quellenforschung, musikalische Pädagogik und Lust an der Musik so ungezwungen wie auf dieser originellen und reichhaltigen CD.
Georg Henkel
Trackliste
12 A. Staier „Introduktion“
13-46 Beethoven: Diabelli-Variationen
Besetzung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |