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Reviews

Schostakowitsch, D. (Schoonderwoerd u.a.)

Krokodil


Info

Musikrichtung: Kammermusik

VÖ: 01.06.2004

Alpha / Note 1
2 CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. Alpha 055


Gesamtspielzeit: 136:13

ZWISCHEN TRAGIK UND SATIRE: KAMMERMUSIK UND LIEDER VON SCHOSTAKOWITSCH

Diese Produktion ist ein heißer Kandidat für den nächsten „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ in der Kategorie Kammermusik. Die Intelligenz, mit der das Programm, ein musikalisches Porträt Dimitrij Schostakowitschs, zusammengestellt worden ist, wäre für sich genommen nur bemerkenswert; es sind jedoch die grandiosen Interpretationen, die die Aufnahme weit über den Durchschnitt erheben. Es stimmt einfach alles, bis hin zur Wahl des luziden Bechstein-Flügels von 1920 für den Klavierpart, der von Arthur Schoonderwoerd höchst überzeugend dargeboten wird.
Musiziert wird überhaupt hochkonzentriert und ausdrucksintensiv, dabei sehr stringent und schlank in der Tongebung. Das gilt für die Sänger (die Sopranistin Nadja Smirnov und den Baß Petr Migunov) ebenso wie für den Violinisten Graf Mourja und die Cellistin Marie Hallynck. Wie z. B. Mourja jede Note seines Violinparts im berühmten Trio von 1944 mit geradezu seismographischem Feingefühl abtastet, ohne den großen Bogen aus dem Augen zu verlieren, ist so hochspannend, dass man sofort zu den Kopfhörern greift, um akustisch noch näher am Geschehen zu sein (wozu auch die vorzügliche Klangtechnik verführt).

In der musikalischen Verbindung von eigentlich Unvereinbarem wird die irrwitzige Künstlerbiographie Schostakowitschs zumindest in Umrissen greifbar: Dass es dem Komponisten gelungen ist, sich unter den geist- und kunstfeindlichen Bedingungen der stalinistisch-kommunistischer Kulturdoktrin selbst da treu zu bleiben, wo er vordergründig einem platten „sozialistischen Realismus“ huldigt, ist das eine Wunder. Wie er den im wahrsten Sinne lebensgefährlichen Spagat zwischen Avantgardist und 1. Sekretär des Komponistenverbandes, zwischen „Volksfeind“ und „Volkskünstler“, zwischen Zukunftsklängen und banalen Propagandafanfaren aushielt, ohne selbst darüber verrückt zu werden, das andere. So rettete sich Schostakowitsch da, wo Hurra-Patriotismus gefordert war, häufig in versteckte Ironie und Skepsis, sei es durch penetrante Übererfüllung der Konventionen, sei es durch absichtliche Vieldeutigkeit der Phrasen. Extreme des Ausdrucks liegen hier oft nahe beieinander, auch da, wo der Komponist ganz unmaskiert Satire und Tragik, Verzweiflung und Hoffnung, Trauer und Humor aufeinanderprallen läßt.

Entsprechende Töne schlagen nicht nur die instrumentalen Werke an, sondern auch die vokalen. Die Fünf Romanzen auf dümmliche, spöttische oder naive Leserbriefe, die seinerzeit in der satirischen Zeitschrift „Krokodil“ erschienen, karikieren menschliche Untugenden, Geistlosigkeit oder verlogene Idyllen. Ähnlich entlarvend geben sich die als Satiren betitelten Lieder über Gedichte von Sacha Tchiorny mit ihrer geradezu surrealen Verbindung widerstreitender Empfindungen oder die grotesk banale „Poesie“, die Dostojewski seine Romanfigur Kapitän Lebiadkine in den „Besessenen“ hervorbringen läßt.
Ganz anders dagegen die Sieben Romanzen für Sopran, Violine, Violoncello und Klavier, die ausgesprochen lyrisch, mitunter völlig entrück daherkommen. Mystik im Zeitalter des realen sozialistischen Materialismus?
Mit ihrer glasklaren, silbrigen Sopranstimme verleiht Nadja Migunov diesem Zyklus eine wahrhaft betörende Unwirklichkeit. Handfest, manchmal geradezu burlesk und buffohaft polternd (aber nicht weniger klar) agiert dagegen ihr Kollege Petr Migunov in den Krokodil-Satiren, die ebenso wie die Lebiadkine-Verse mit gekonnt falschem Pathos und beißendem Spott inszeniert werden.

Eine ebenso spannende wie faszinierende Produktion, mit der das Label Alpha erneut zeigt, daß es nicht nur in der sogenannten Alten Musik zu Hause ist.



Georg Henkel

Trackliste

CD 1 69:06

01 Préface à l’edition complète de mes oeuvres & breves réflexions sur cette préface für Klavier und Baß, op. 123 (02:23)
02-03 Präludium und Fuge C-Dur Nr. 1, op. 87 (05:50)
04-07 Trio für Violine, Violoncello und Klavier E-Moll, op. 67 (26:19)
08-13 Fünf Romanzen für Baß und Klavier über Texte der Zeitschrift „Krokodil“, op. 121 (10:41)
13-19 Sieben Romanzen für Sopran, Violine, Violoncello und Klavier über Texte von Alexander Blok, op. 127 (23:41)

CD 2 67:07

01-02 Präludium und Fuge in E-Moll Nr. 4, op. 87 (08:23)
03-07 Satiren über Texte von Sacha Tchiorny, op. 109 (14:59)
08-10 Sonate für Violine und Klavier, op. 134 (30:40)
11-14 Vier Strophen des Kapitän Lebiadkine für Baß und Klavier über Worte von F. Dostojewski, op. 146 (12:50)

Besetzung

Nadja Smirnov, Sopran
Petr Migunov, Baß

Graf Mourja, Violine
Marie Hallynck, Violoncello
Arthur Schoonderwoerd, Klavier
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