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Atys
Info
Musikrichtung:
Barock Oper
VÖ: 09.12.2011 (FRA Musica / Harmonia Mundi / 2 DVD / live 2011 / Best. Nr. FRA 006) Gesamtspielzeit: 195:00 |
BAROCKTRAUM
Es klingt wie ein Traum: 1987 war der Amerikaner und Geschäftsmann Ronald P. Stanton in Paris zugegen, als Jean-Baptiste Lullys Oper Atys in der Inszenierung von Jean-Marie Villégier mit Les Arts Florissants unter William Christie seine erste glanzvolle Aufführungsserie erlebte. Der heute 80jährige Stanton wünschte sich, diese legendäre Produktion noch einmal zu sehen - und übernahm die Kosten einer Wiederaufführung im Jahr 2011.
Seinerzeit hatte die Produktion für Furore gesorgt, weil sie nicht nur die Qualität der oft als steif und einfallslos geschmähten Opernmusik von Lully unter Beweis stellte, sondern ebenso zeigte, dass diese theatralischen Verklärungen des Ancien Regime auch heute noch auf der Bühne funktionieren.
Der Plot für Atys wurde von Lully und seinem Librettisten Quinault dem Fundus antiker Mythen entnommen: Die Göttin Cybèle liebt den Sterblichen Atys, den wiederum zarte Bande mit der schönen Sangaride, der Verlobten von König Célénus, verbinden, was schließlich in Eifersucht, Wahnsinn und Tod endet. Eine echte Tragödie eben!
Villégier verlegte die mythische Handlung kurzerhand aus dem antiken Phrygien in das Versailles des 17. Jahrhunderts. Damit liefert er dem heutigen Publikum einen Schlüssel für das Verständnis des Werkes als Kommentar zu den Liebeshändeln des französischen Königs (alias Atys) und die sich darum entspinnenden höfischen Intrigen. Dabei gelang es, selbst den dramaturgisch sperrigen Prolog sinnvoll als „Spiel im Spiel“ (nämlich als Theaterprobe für ein Hoffest) zu integrieren. Die feingliedrigen barocken Tänze, stilisierten Gesten und statischen Figurenarrangements mögen in der Nahsicht manchmal ein wenig museal oder sogar possierlich anmuten. Man merkt durchaus, dass die Inszenierung rund 25 Jahre alt ist und inzwischen ein ganze Reihe von „historisierenden“ Nachfolgern gezeugt hat. Im Zusammenspiel mit der Musik aber funktionieren diese Elemente immer noch gut.
Optisch ist das Ganze vor allem ein Ausstattungs- und Kostümtraum. Eindrucksvoll der Bühnenraum mit seinen angedeuteten Raumfluchten, dem Mamorboden, den Wandmalereien und verkröpften Gesimsen. In diesem Ambiente agieren die mythischen Kunstfiguren in ihren kostbaren neobarocken Kostümen wie lebende Ikonen des Ancien Regime. Kühles Blau, Weiß, Silber und Schwarz dominieren. Dank der vokalen und schauspielerischen Fähigkeiten der Solisten werden die Charaktere dann aber doch zu glaubwürdigen Menschen aus Fleisch und Blut, deren Schicksale berühren.
Die 1987er Version des Atys ist vorzüglich auf CD dokumentiert. Was bei der Neuproduktion auffällt, ist der dramatische Atem, der die Musik durchpulst. Schon bei der Ouvertüre treibt William Christie das Orchester energisch voran, schlägt dann große Spannungsbögen über die Szenen. Die umfangreichen Rezitative, knappen Airs, die prächtigen Chöre und verspielten Tänze bilden große, lebendige Architekturen. Geblieben ist freilich trotz der gewonnenen Ausdrucksintensität die Delikatesse des Klangs, für die Les Arts Florissants berühmt ist: samtig, dunkel und seidig schimmernd wie die Roben der Sänger auf der Bühne.
Die Besetzung ist der der alten Fassung durchaus ebenbürtig, mit Bernhard Deletré konnte sogar noch einmal ein Mitwirkender der ersten Aufführung verpflichtet werden (für die Allegorie der Zeit und die burleske Figur des Sangar).
Christie wählte für die Solopartien auch unter den vielversprechenden Neuentdeckungen seines „Jardin des Voix“ aus. Herausragend sind der geschmeidig und ausdrucksvoll deklamierende Bernhard Richter als Atys und die ebenso sinnlich wie anrührend singende Emmanuelle de Negri als Sangaride.
Die in diesem Repertoire inzwischen gut bekannte Stéphanie d’Oustrac dürfte als Cybèle nicht so leicht zu übertreffen sein. Sie vereint in ihrer Darbietung die kühle, unnahbare Diva und die mit tödlicher Leidenschaft Liebende. Eine vokalschauspielerische Glanzleistung! Nicolas Rivenq, ein Arts-Florissants-Sänger der ersten Jahre, gibt einen überzeugenden König. Tenor Paul Agnew, der schon seit vielen Jahren mit Christie zusammenarbeitet, hinterlässt als Gott des Traumes wie so oft einen betörenden Eindruck. Auch andere kleinere Rollen sind hochrangig besetzt, so dass nachvollziehbar wird, was den Zauber dieses Werkes ausmacht.
Großen Dank an Mr. Stanton, dass er diese Rekreation ermöglicht hat - und dass sie nun auch auf CD in bester Bild- und Tonqualität verfügbar ist. Eine umfassende 100-minütige Dokumentation mit vielen Interviews rundet die Produktion angemessen ab.
Georg Henkel
Trackliste
Besetzung
Stéphanie d’Oustrac: Cybèle
Emmanuelle de Negri: Sangaride
Nicolas Rivenqu: Célénus
Marc Mauillon: Idas
Sophie Daneman: Doris
Jael Azzaretti: Mélisse
Paul Agnew: Gott des Traumes
Cyril Auvity: Morphée
Bernard Deletré: Sangar, Zeit
Compagnie Fêtes galantes: Tanz
Chor und Orchester Les Arts Florissants
William Christie: Leitung
Jean-Marie Villégier: Regie
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |