Reviews
Jüngste Werke
Info
Musikrichtung:
Neue Musik Ensemble
VÖ: (Neos / Codaex / SACD hybrid / 2010 / Best. Nr. NEOS 11118) Gesamtspielzeit: 71:23 |
RUNDES PORTRÄT
Zum 80. Geburtstag des schweizerischen Komponisten Rudolf Kelterborn ist ein Album mit einer Auswahl seiner jüngsten Kompositionen erschienen. Kelterborn führt das Erbe des Zweiten Wiener Schule weiter, die Zwölftönigkeit wird von ihm aber so frei gehandhabt, dass die Technik in den Hintergrund tritt.
Gleich die eröffnende Hommage à FD für Sopran und Kammerensemble demonstriert diese Ästhetik, die sich an das Ohr richtet (freilich ohne dieses mit allzu Gefälligem zu unterfordern): Einzelne Worte oder Phrasen aus den Werken von Friedrich Dürrenmatt werden zu imaginären Szenen verbunden, die eine Art Miniatur-Oper von knapp 18 Minuten Dauer ergeben. Bewundernswert ist Kelterborns Ökonomie der Mittel. Wo andere ein ganzes Stück benötigen, um einen bestimmten Ausdruck einzufangen, gelingt ihm dies mit wenigen genau platzierten Klanggesten. Darin erinnert dieses Stück an die musikalischen Kondensate von György Kurtag.
Die plastisch geformten, aber niemals grell überzeichneten Momente entwickeln sich in lockerer Fügung. Trotzdem ergibt sich im Großen wie im Kleinen ein Spannungsverlauf, so dass ein ganzes Drama wie im Zeitraffer vorbeizieht, in dem sich nicht nur wie in einer Linse das Werk Dürrenmatts bündelt, sondern chiffrenartig das ganze Spektrum des menschlichen Lebens aufblitzt.
Ähnlich verhält es sich bei der Vertonung von Gedichten Ernst Jandls unter dem Titel ich höre mich. Refrainartig wird das Gedicht „liegen bei dir“ wiederholt, aber dabei immer wieder neu vertont. Dazwischen erklingen in ebenfalls immer anderer musikalischer „Diktion“ weitere Texte, die den Refrain erweitern oder kommentieren. Wie schon bei der „Hommage“ tut sich ein Affekt-Mikrokosmos auf, der mit Oboe, Cello und Klavier ausgesprochen transparent, wegen der delikaten, oft solistischen Behandlung der Instrumente aber zugleich sehr farbig ist.
Die Kammersinfonie Nr. 3 für zwei Klaviere und Ensemble kombiniert zwei komplementäre Sätze, „Atmosphéres“ und „Actions“. Beide sind aber auch hörbar aufeinander bezogen. Die mit allerlei Anspielungen durchzogenen „Atmosphères“ erscheinen wie eine Traumsequenz. Dagegen geben sich die Actions rhythmisch aufgekratzt. Das morsezeichenartige Kopfmotiv läuft sich motorisch nie tot, sondern wird immer wieder transformiert oder mit Innehalten konfrontiert, die an die mysteriöse Welt der „Atmosphères“ erinnern. Was die Klanggestik und den bizarren Humor angeht, gibt es Verwandtschaften mit dem späten Ligeti und möglicherweise ist ja auch der Titel des ersten Satzes eine Anspielung auf dessen epochemachendes Orchesterwerk gleichen Titels.
Auch das Bratschenkonzert weckt bis in die Details der Instrumentation hinein zahlreiche Assoziationen an Ligetis letzte Konzerte, vor allem das „Klavier-“ und das „Violinkonzert“ (die Behandlung der Solopartie erinnert indes an seine „Sonate für Viola“). Und was den Humor und eine gewisse Neigung zur Groteske angeht, scheinen sich beide Komponisten ebenfalls nahe zu sein.
Die Ausführenden bieten geschliffene Interpretationen, die von der Tontechnik räumlich und präsent eingefangen wurden.
Georg Henkel
Trackliste
02 -03 Kammersinfonie 3 (2007) 21:23
04-12 ich höre mich (2006) 15:27
13-15 Konzert für Viola und Orchester (2009) 17:12
Besetzung
Adrienne Soós and Ivo Haag Piano Duo
Nouvel Ensemble Contemporain NEC
Leitung: Pierre-Alain Monot
Jessica Rona: Viola
Sinfonie Orchester Biel
Thomas Rösner: Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |