Reviews

Aimee Pettersen

Living Proof

Info Musikrichtung: Country / New Country VÖ: 2003 (Brown Bag Music) Gesamtspielzeit: 50:29 Internet: http://www.aimeepettersen.com

Ein skandinavischer Nachname, ein französischer Vorname ("die geliebte"), geboren auf den Weihnachts-Inseln im Pazifik und mit 5 Jahren zu Onkel und Tante ins Frasier Valley in British Columbia, Kanada, gezogen. Dort sehr früh die Liebe zur Musik und das große Talent zum Gesang entdeckt und folgerichtig mit 14 Jahren das erste Album eingesungen. Dies Holterdipolter scheint auf eine übereilte Produktion zu schließen, denn was kann man von einer Sängerin erwarten, die sich anscheinend gerade erst von ihren Puppen getrennt hat (wenn überhaupt)? Und eine Lee Ann Rimes gibt es nicht alle Tage! Oder doch?

Im Einzelnen:

Bereits beim ersten Song "You and me" kann Aimee Pettersen mit ihrer sanften Stimme überzeugen. In Kanadas Westen scheint sie auch ausreichend Country-Einflüsse genossen zu haben, denn der Song ist diesem Genre problemlos zuzuordnen. Natürlich ist es eine poppige Variante, denn nicht jedes Talent muss seine Karriere mit Klassikern wie "Blue" beginnen. Bei "Walk on water" klingt ein wenig Gospel im Backgroundgesang an, während die Refrains eindeutig poppig arrangiert sind. Dafür hat die unterlegte Fiddle die Aufgabe, die Genre-Zugehörigkeit zu bestätigen. Übrigens sind die 14 (!) Songs dieses Albums allesamt aus der Feder von Glenda Rae und Miles Black, somit auch die Ballade "Rag doll", die der Stimme von Aimee einiges abverlangt, wurde der Background doch sehr spärlich besetzt. Doch auch hier kann man der jungen Lady keinen Schwachpunkt bestätigen. Ins Auge bzw. Ohr springt bereits jetzt die Tatsache, dass das Autorenduo bei seiner Arbeit auf thematisch angemessenes Songmaterial geachtet hat und nicht über heiße Liebe singen ließ.

Ebenfalls ruhig zu Werke geht "Now that it´s over" und legt wieder einmal die Wärme der jungen Stimme offen, die in dieser Altersklasse so schnell wohl nicht ihresgleichen finden dürfte. "Summer night" verfügt da schon über mehr Temperament und geht swingend seinen Weg. Aus welchem Grunde sich da gelegentlich eine männliche Stimme (die übrigens dem Komponisten gehört) einmischt, bleibt mir ein Rätsel, da sie doch recht deplaziert wirkt. Dafür wird hier echter Country-Swing geboten, den man bei einer 14-jährigen kaum vermutet. Munter groovende Drums und eine typische Fiddle bilden das Grundgerüst bei "Momma´s shoes", bevor "Rocking little beauty" dem Blues frönt. Wenn ein junges Mädchen Blues singt, macht sich der geneigte Hörer so seine Gedanken - in diesem Fall jedoch völlig ohne Grund, denn auch hier fühlt sich Miss Pettersen anscheinend wohl, denn warum sollte die little beauty nicht auch mal rocken? Doch auch hier bleibt die angenehme Sanftheit der Stimme erhalten.

Bei "When we're young" handelt es sich wiederum um eine Ballade, die sehr schön und rund dargeboten wird. Auch hier bringt der dezente Background die Stimme weit nach vorne, wohin sie auch gehört. "Perfect moments" zeigt wieder eine lustig-poppig agierende Aimee Pettersen, die jugendlich-frisch die perfekten Momente an jedem Tag sucht (und sie wahrscheinlich auch gefunden hat). Rockige Ambitionen schickt bereits das Intro zu "Can´t make a fool (out of me)" voraus, in dem man an den Rock der 70er erinnert wird. Bei diesem Titel wird richtig Speed gemacht, und die Gitarren rocken wie bei keinem anderen Song des Albums. So wird eindeutig klargestellt, dass die junge Lady nicht nur poppig oder schnulzig daherkommen kann, sondern (zur Not) auch die Sau vom Pflock lassen kann. Ebenfalls zur Spektrumserweiterung dient "It´s a good thing", das eine Familienportion Gospel enthält, die auch durch den Backgroundgesang authentisch wiedergegeben wird. Es scheint, Aimee zieht zum Ende der CD noch einmal alle Register, um sich für zukünftige Aufgaben breit gefächert anzubieten. Natürlich darf dabei auch nicht ihre Paradedisziplin fehlen, und so liefert der Titeltrack "Living proof" eine sehr schöne Ballade in bekannter Qualität.

Fazit:

Natürlich merkt man, dass man es hier mit einer sehr jungen Stimme zu tun hat, aber für ihre 14 Jahre, die sie beim Einsingen des Albums hatte, klingt Aimee Pettersen verteufelt gut. Hervorzuheben ist die Wärme und Sanftheit der Stimme, die natürlich bei Balladen optimal eingesetzt werden kann. Doch auch bei poppig geschliffenen Songs kommt das enorme Talent der jungen Kanadierin zur Geltung.

Angenehm ist das Songmaterial, das dem Alter der Sängerin entspricht - manchmal jedoch Ähnlichkeiten untereinander ausmachen lässt - und aus einem Mädchen nicht zwingend einen Vamp machen will. Dafür zeigt bereits das Cover eine recht natürlich wirkende Aimee, die eher dem Image des netten Mädchens von nebenan entspricht. Es bleibt somit zu hoffen, dass Miss Pettersen ihrem bisherigen Weg treu bleibt und uns auch in Zukunft mit ihrer Stimme verwöhnt. Das Potenzial dafür ist jedenfalls durchaus gegeben.

Lothar Heising