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Makrokosmos I-IV
Info
Musikrichtung:
Neue Musik Klavier
VÖ: 23.05.2011 (Telos Music / Naxos / 2 CD / DDD / live 2009 / Best. Nr. TLS 093) Gesamtspielzeit: 125:43 |
PIANISTISCHE ZWIELICHTWELTEN
George Crumbs vierteiliger Klavierzyklus Makrokosmos ist ein riesiger Resonanzraum. Die Verstärkung der Instrumente und spezielle Spieltechniken entlocken dem Korpus der Flügel ungewöhnliche Klänge, die durch den elektrisch vergrößerten Nachhall oder mitspielendes Schlagzeug fremd und geheimnisvoll wirken. Zumal der Komponist der Stille ebensoviel Aufmerksamkeit schenkt wie den Klängen. Diese scheinen in einem unermesslichen freien Raum zu schweben, manchmal in geisterhafter Pinaissimo-Ferne, manchmal in rauschender und geräuschhafter Fortissimo-Körperlichkeit.
Crumb benutzt zwar Mittel der pianistischen Avantgarde wie Präparierungen, Verstärkungen oder direktes Handspiel auf den Seiten, aber er bleibt dabei immer fasslich. Der abstrakte Konstruktivismus, der die europäischen Kollegen im 20. Jahrhundert fasziniert hat, ist bei ihm kein Selbstzweck. Man hört, dass den Komponisten die Natur inspiriert hat, vor allem die seiner amerikanischen Heimat, wo er mit der merkwürdigen Echoakustik in einem Tal in der Appalachen groß geworden ist.
Wenn Crumb mit ungewöhnlichen Klangeffekten und Klangmaterialien arbeitet, dann schwingt darin das ganze kreatürliche Universum mit. Man hört den Wind, den Regen und das Rauschen ferner Wasser, man nimmt Insekten, Tiere und Vögel wahr. Das kann an den quasi-mimetischen Klängen liegen, öfter aber widerfährt es dem Hörer mehr als Anmutung, gleichsam als Natur-Impression, die in den abstrakten Klavierklang eingeschlossen ist.
Haunted Landscape lautet der Titel einer seiner Orchesterwerke und spukhaft ist auch Charakter vieler seiner Klavierstücke. Erd- und Naturgeister scheinen allgegenwärtig zu sein, auch der Kreislauf von Leben und Tod. Crumb hat eine Vorliebe für nächtliche oder zwielichtige Stimmungen, wenn die Dinge nicht mehr so eindeutig erscheinen und die Konturen verwischen. Ausdrücklich als Music for a Summer Evening ist der 3. Teil des Makrokosmos überschrieben. Die ersten beiden Teile bestehen aus jeweils zwölf „Fantasiestücken“, die sich entlang des Tierkreises bewegen.
Auch allerlei Fremdmaterial von Musik, die Crumb schätzt, von der Gregorianik über Werke von Schubert bis Wagner, sind in diese Musik eingegangen, verfremdet und transformiert. Mitunter sind die Interpreten auch gefordert, zu rufen oder zu singen.
Titel wie „Urklänge“, „Hirtenklänge“, „Der gespensterhafte Gondolier“, „Regen-Tod-Variationen“, „Eine Prophezeiung des Nostradamus“ oder „Weltenwind“ lösen schon beim Lesen esoterische Assoziationen aus. Christliches und Schamanistisches oder auch Antik-Heidnisches vermischen sich zwanglos zu einer ganz eigenen, poetischen Bildwelt.
Bei aller Klangphantasie ist die Musik ökonomisch streng gearbeitet und von kontemplativen, übersichtlichem Charakter: Für jedes Stück gibt es meist ein charakteristisches Motiv, eine bestimmte Figur oder Farbe, die dann entfaltet wird. Vieles ist sehr leise, fein und lyrisch und fordert zum intensiven Nachlauschen auf; dann wieder entlädt sich aber die Musik in ekstatischen Ausbrüchen, vor allem im 4. Teil, bei dem sich der Komponist den Himmel und die Sternenkonstellationen als einen kosmischen Ballsaal vorgestellt hat und zum Tanzen bringt.
An einem einzigen Abend im März 2009 hat das Ensemble Berlin PianoPercussion die vier Teile im Rahmen der Berliner Festspiele in der Reihe MaerzMusik. Festival of Contemporary Music aufgeführt. Der Live-Eindruck ist atmosphärisch sehr dicht und kaum ein Nebengeräusch stört die entrückten Zwielichtwelten Crumbs. So bekommt man eine spannungsvolle Gesamtaufführung geboten, die vielleicht klangtechnisch nicht die Studio-Perfektion der beim amerikanischen Label Bridge-Records veröffentlichten Produktionen erreicht, aber den Geist von Crumbs Klavierschöpfungen dafür sehr konzentriert zum Klingen bringt.
Georg Henkel
Trackliste
Makrokosmos I & II 66:32
CD 2
Makrokosmos III & IV 59:11
Besetzung
Prodomos Symeonidis: Klavier
Sawami Kiyoshi: Klavier
Friedemann Werzlau: Schlagzeug
Matthias Buchheim: Schlagzeug
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |