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Missa Solemnis
Info
Musikrichtung:
Geistliche Musik
VÖ: 01.03.2004 Naxos CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. 8.557060 Gesamtspielzeit: 67:00 |
GRENZÜBERSCHREITEND, FORMATSPRENGEND - UND ÜBERFORDERND: BEETHOVENS MISSA SOLEMNIS
Diesem Brocken ist kaum beizukommen: Ludwig van Beethovens monumentale Missa Solemnis von 1823 sprengt den Rahmen, den liturgischen wie den einer konzertanten Aufführung. Die Größe des Gegenstandes, nämlich die liturgische Feier der Heilsgeheimnisse, wurde vom Komponisten für seine Messkomposition zum ästhetischen Programm erhoben und erforderte eine entsprechend erhabene, überwältigende Gestaltung, die die Interpreten (und Hörer) immer wieder an ihre Grenzen führt. „Wer es fassen kann, der fasse es“, heißt es ja schon in der Bibel.
Beethoven bündelt die kirchenmusikalischen Traditionen der vergangenen Jahrhunderte, von Palestrina über Bach, Mozart und Haydn bis Cherubini. Das Ergebnis ist eine monumentale Synthese aus Fuge und Sonatenhauptsatz, Rhetorik und Tonmalerei, Theatralik und Kontemplation, formaler Kühnheit und Extremen des Ausdrucks.
Dabei hat sich die Musik vom realen gottesdienstlichen Geschehen, das sie nicht mehr einfach nur begleitet oder ausschmückt, sondern mit musikalischen Mitteln präsent setzt und zugleich überbietet, weitgehend emanzipiert. Objektives Mysterium und subjektive Ergriffenheit treten in ein komplementäres Verhältnis: „Möge es wieder zu Herzen gehen!“ hat der Komponist ausdrücklich an einer Stelle in der Partitur notiert. Diese Festmesse ist auf bis dahin so nicht gehörte Weise zum privaten religiösen Bekenntnis eines Komponisten geworden. „Ergriffenheit“ und „Pathos“ sind also keine bloßen Schlagwörter. „Überschwang“, „Rausch“ und „Ekstase“ auch nicht. Mitunter haftet dieser musikalischen Andacht Beethovens nicht nur Gewaltiges, sondern durchaus etwas Gewalttätiges an.
ÜBERSTEUERT STATT ÜBERWÄLTIGEND
Dass die Einspielung mit dem Nashville Symphony Orchestra und Chor unter Kenneth Schermerhorn weniger andächtig und anregend geraten ist, sondern eher anstrengend, liegt also durchaus in der Natur der (musikalischen) Sache.
Aber leider nicht nur: Der Dirigent kann sich nicht so recht zwischen Pathos und Empfindsamkeit entscheiden bzw. diese beiden Pole auf einen gemeinsamen Nenner bringen - die eigentliche Herausforderung. Das Kyrie schleppt sich mit langsamen 10 Minuten dahin, wobei die Struktur schon mal ins Wanken gerät. Bei Gloria und Credo zieht Schermerhorn das Tempo zwar an, doch finden ruhige Passagen, Steigerungen und Höhepunkte bei ihm zu keinem organischen Verhältnis.
Zudem bevorzugt der Dirigent einen etwas schwerfällig hüpfenden oder skandierenden Duktus, offenbar im Bemühen, Ergebnisse historischer Aufführungspraxis zu rezipieren. Gegenüber dem Breitwandklang eines Karajans ist dies gewiss ein Fortschritt, allerdings standen Karajan dann doch die besseren Kräfte zu Verfügung. Und ob man es nun mag oder nicht: Karajans Ansatz ist in sich konsistent. Schermerhorns wenig subtile Phrasierung lässt die Musik einfach nur majestätisch stampfen, zeigt sich aber Beethovens durchgetretenem Gaspedal ebenso wie den Feinheiten der Partitur nicht gewachsen. Da trägt es die Sänger/innen des Chors dann auch schon mal aus der Spur. Die dynamischen Aufgipfelungen geraten so eher übersteuert, denn überwältigend. Von den Solisten sticht diesbezüglich Lori Philips mit üppigem Vibrato und durchdringendem Timbre unangenehm heraus.
Georg Henkel
Trackliste
02-04 Gloria 6:45
05-07 Credo 18:36
08-09 Sanctus 16:01
10-11 Agnus Dei 15:20
Besetzung
Robynne Redmon, Mezzo-Sopran
James Taylor, Tenor
Jay Baylon, Bass-Bariton
Nashville Symphony Orchestra und Chor
Ltg. Kenneth Schermerhorn
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |