Mascagni, P. (Hengelbrock)
Cavalleria Rusticana
WAHRHEITEN
Wenn sich eine Suchender und Vertreter der historisch informierten Aufführungspraxis wie Dirigent Thomas Hengelbrock dem Verismo zuwendet, dann richtet sich sein Blick zuallererst auf die musikalische Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Hengelbrock hat daher den Versuch unternommen, die ursprüngliche Fassung von Mascagnis Einakter zu rekonstruieren. Das bedeutet zum einen, zahlreiche Kürzungen rückgängig zu machen, die Mascagni noch vor der Uraufführung unter dem Eindruck diverser Kritik vorgenommen hatte, die aber die tonartliche Struktur und das kompositorische Gesamtkonstrukt durchlöcherten. Betroffen sind davon auch etliche Chorteile, die zudem - wie die Partien der Santuzza und des Turridu - in anspruchsvollere Höhen zurückzutransponieren waren. Was entsteht, ist eine mit 75 Minuten keineswegs wesentlich längere Fassung des Werkes, aber eine Version, die (auch durch die historischen Instrumente) einen deutlich aufgelichteten Charakter hat, sängerisch anspruchsvoller daherkommt und in ihrer überzeugenden Gesamtanlage durchaus das Zeug dazu haben könnte, sich als neuer Standard durchzusetzen.
Im interpretatorischen Ansatz enthält Hengelbrock sich der Zuspitzung, bleibt aber gleichwohl eher betont straff als schwelgerisch, wozu Preludio und Intermezzo durchaus auch einladen könnten. Carolina López Moreno bewältigt die infolge der Rücktransposition überaus herausfordernde Partie der Santuzza mit Bravour. Dass die Stimme in der Höhenlage dabei durchaus wahrnehmbar unter Druck gerät, ist technisch unvermeidlich, entspricht aber dem Charakter der Figur und steuert damit letztlich einen weiteren "Versimo"-Aspekt bei. Im Übrigen ist es eine weise Entcheidung, die Santuzza ebenso wie ihre Konkurrentin Lola (mit glänzender Strahlkraft: Eva Zaicik) als junge Frauen im etwa gleichen Alter anzulegen und nicht - wie so oft - Santuzza als die reife Ehefrau zu präsentieren, die von ihrem Turridu mit der vermeintich jüngeren Lola betrogen wird. Besagten Turridu legt Giorgio Berrugi als unentschlossenes, leicht weinerliches Muttersöhnchen an, dem mit Domen Krizaj als Lolas Gatte Alfio ein eher cool-überlegen als machohaft-gewalttätiger Widersacher gegenübertritt.
Bemerkenswerterweise legt Hengelbrock bei diesem tontechnisch gelungenen Live-Mitschnitt im gesanglichen Ausdruck wie auch im Atmosphärischen der Chorszenen (herausragend: der Balthasar Neumann Chor nicht gleichermaßen wert auf die Versimo-Idee wie bei der Rekonstruktion. Das bleibt durchweg gepflegt opernhaft und hätte durchaus etwas mehr bäuerlichen Schmutz und emotionale Aufladung vertragen.
Sven Kerkhoff
Besetzung |
Carolina Lopez Moreno, Giorgio Berrugi, Elisabetta Fiorillo, Domen Krizaj, Eva Zaicik
Balthasar Neumann Chor und Orchester
Thomas Hengelbrock: Ltg.
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